Ehe - die Ikone Gottes in der Welt



Wie in Mann und Frau Gottes Ebenbild erkennbar wird
von Christl Ruth Vonholdt



Wir wissen nicht mehr, wer oder was der Mensch ist. Menschenbilder gibt es heute viele. Die Wissenschaft kann uns keine Orientierung geben, sie setzt Orientierung voraus. Doch wo können wir noch Orientierung finden? Vielleicht kann es helfen, entlang der biblischen Schöpfungsgeschichten des Menschen (Genesis 1–2) auf Spurensuche zu gehen mit der Frage, was die Bibel über den Menschen sagt, insbesondere über den Menschen in seiner Geschlechtlichkeit, also über den Menschen, so wie er konkret vorkommt: als Mann und als Frau.

Die Schöpfungsgeschichte des Menschen in Genesis 1,1–2,4
Das erste Kapitel der Bibel ist in großer Klarheit strukturiert und geordnet, vergleichbar mit einem Lied, dessen Strophen aufeinander aufbauen – und weist schon durch seine Sprache auf eine kosmische Ordnung hin. Am 6. Tage erschafft Gott die großen Tiere und den Menschen. Obwohl Gott an diesem Tage beide erschafft, zeigt die Schöpfungsgeschichte des Menschen Besonderheiten, die auf eine einmalige Stellung des Menschen in der Welt hinweisen.
In Genesis 1 wird allein der Mensch geschaffen ohne irgendeinen Hinweis auf einen natürlichen Kontext oder Materie. Bei den Tieren sind es die Wasser, das Feld, die Erde, die Feste des Himmels, das Meer – lauter Hinweise auf einen natürlichen Kontext. Beim Menschen fehlt das völlig. Er besitzt eine einzigartige Entbundenheit vom Biotop, von seinem Lebensraum, die die sogenannten freien und wilden Tiere so nicht haben. Nur der Mensch kann sowohl am Äquator als auch in Alaska leben.1
Auch die häufig wiederholte Einteilung bei den Tieren, „jedes nach seiner Art“ (sowohl in Genesis 1 wie auch in 2), kommt beim Bericht von der Erschaffung des Menschen nicht vor. Es gibt nur den einen Menschen. Das ist auch eine Absage an jegliche Form des Rassismus!

Und nur für den Menschen, nicht für irgendeines der Tiere, wird ausdrücklich die Geschlechtszugehörigkeit angegeben als „männlich und weiblich“. Dieser besondere Hinweis auf die Geschlechtlichkeit des Menschen als Mann und Frau (V 27) hat vom Textzusammenhang her zunächst nichts mit der Fortpflanzung zu tun (auch Tiere pflanzen sich fort), sondern mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Die Fortpflanzung kommt erst später, in Vers 28, durch einen besonderen Segen Gottes hinzu. Unsere Geschlechtlichkeit ist selbstwerthaft und hat zu tun mit dem Bild Gottes.

Sprache schafft Beziehung
Die eigentliche Schöpfungsgeschichte des Menschen2 können wir in drei Abschnitte gliedern: direkte Rede (1, 26); Bericht (1,27); direkte Rede (1,28-30).3 Man könnte von einem Rahmen sprechen und vom Bericht als dem Herzstück, für das der Rahmen aber wichtig ist. Zunächst schlägt Gott die Erschaffung des Menschen vor; dann erschafft er sie, männlich und weiblich; und dann segnet Gott sie, spricht sie an und gibt ihnen ihren Auftrag.
Anders als bei der Erschaffung der Tierwelt beginnt die Schöpfung des Menschen mit einem Selbstgespräch Gottes: „Lasset uns (den) Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei“ (V 26). Sie beginnt mit Sprache, Kommunikation, mit Beziehung innerhalb Gottes. Gott redet von sich in der Mehrzahl und spricht mit sich selbst.
Die Sprachfähigkeit ist neben der Geschichtsfähigkeit ein herausragendes Merkmal, das den Menschen vom Tier unterscheidet. „Der Mensch ist nur Mensch durch die Sprache“ hat Wilhelm von Humboldt, Zeitgenosse Goethes, einmal gesagt.
Die Legende berichtet, der Stauferkaiser Friedrich II. (1215-1250) habe zwölf Edelkinder ihren Eltern entrissen und sie in einem Waisenheim aufgezogen.4 Sie hätten alle erdenkbare Pflege erhalten, aber niemand durfte zu ihnen sprechen. Auf diese Weise habe der Staufer die Ursprache des Menschengeschlechts herausfinden wollen. Doch alle Kinder starben.
Die Ursprache des Menschengeschlechts ist, so sagt der jüdische Philosoph Martin Buber, das Grundwort „Ich und Du“, oder genauer, „Du und Ich“, denn wir müssen zuerst angesprochen werden, bevor wir lernen können, „ich“ zu sagen.

Wie nichts anderes vermittelt Sprache Beziehung. Am Ende der Schöpfungsgeschichte des Menschen – auf der anderen Seite des Rahmens sozusagen – spricht Gott von sich in der Einzahl. Er redet den Menschen direkt an: „Sehet da, ich habe euch gegeben...“ (V 29). Nur bei der Erschaffung des Menschen, nicht der Tiere, redet Gott von sich in der ersten Person. Gott schafft Beziehung zum Menschen.

Kein androgyner Ur-Mensch
Achten wir auf den mittleren Teil des Textes (V 27):

Und Gott schuf den Menschen
nach seinem Bild,
nach dem Bild Gottes schuf er ihn;
als Mann und Frau schuf er sie.5

Der Dreizeiler ist wie ein Gedicht aufgebaut. Gedicht bedeutet nicht, dass man sich etwas zurechtdichtet, sondern, dass in verdichteter Form etwas gesagt wird, was in anderer Form gar nicht so vollendet auszudrücken wäre.
Die Sprachstruktur des Dreizeilers folgt dem sogenannten „Parallelismus“, den wir auch aus den Psalmen kennen. Er bedeutet, dass bestimmte Satzglieder, die parallel zueinander stehen – entweder direkt oder gekreuzt – dieselbe Bedeutung haben, dasselbe aussagen.

(Und Gott schuf den Menschen) (A)
(nach seinem Bild) (B)
(nach dem Bild Gottes) (B)
(schuf er ihn) (A)

Hier besteht ein gekreuzter Parallelismus:
A B / B A. Diese Sprachform ist nicht zufällig, sie bewirkt eine Betonung dessen, was im Zentrum steht: nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes. Umschlossen und eingerahmt ist das Zentrum vom schöpferischen Handeln Gottes: „Und Gott schuf den Menschen“, steht am Anfang; „schuf er ihn“, steht am Ende. Das bedeutet: Der Mensch ist nicht aus sich selbst heraus zu verstehen, sondern nur von Gott her. Und: der Mensch ist geschaffen zum Bild Gottes und soll in der sichtbaren Wirklichkeit etwas widerspiegeln von diesem Bild. Doch wer ist nun „der Mensch“?

(nach dem Bild Gottes) (schuf er ihn) (A)(B)
(als Mann und Frau) (schuf er sie) (A)(B)

Hier besteht kein kreuzartiger, sondern ein direkter Parallelismus: Das, was untereinander steht, entspricht inhaltlich einander: A B / A B. Erst jetzt wird klar, wer „der Mensch“ ist. Erst in der letzten Zeile erfahren wir seine Konkretion: „als Mann und Frau“. Dabei werden nicht die sonst üblichen hebräischen Wörter für Mann und Frau gebraucht (ish und isha), sondern wörtlich heißt es: „männlich und weiblich“ bzw. „ein männliches und ein weibliches Geschöpf“ (sachar und kebah).

(nach dem Bild Gottes) (schuf er ihn)
(als Mann und Frau) (schuf er sie)

Durch den Parallelismus und die Wiederholung werden kleine Veränderungen besonders betont. Hier ist es der Wechsel von Einzahl zu Mehrzahl bei sonst unverändertem Wortlaut.
Gerade dieser Wechsel von Einzahl und Mehrzahl lässt eine Vorstellung von einem ursprünglich zwittrigen Urmenschen nicht zu. Der Wechsel innerhalb der Gleichheit zeigt, dass „der Mensch“ (ha-adam) von Anfang an zwei Geschöpfe sind. „Ha-adam“ ist keine männlich-weibliche Einheit, die später getrennt worden ist. Von Anfang an ist „der Mensch“ synonym mit „ein männliches und ein weibliches Geschöpf“.
Auf diese wechselvolle Spannung, die gleichzeitig einmalige Einheit ist, wird der Leser schon durch den vorausgehenden Vers 26 vorbereitet. Da heißt es: „Lasset uns (den) Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei. Sie sollen herrschen...“ Die Verbform „Sie sollen herrschen“ ist Mehrzahl, bezieht sich aber auf „den Menschen“, der im Hebräischen eindeutig in der Einzahl steht.
In außerbiblischen Mythen ist in vielen Fällen nur der Mann nach dem Ebenbild Gottes geschaffen, die Frau z.B. als Ebenbild der Erde. Die Bibel aber lässt keinen Zweifel: Jeder Einzelne, ob Frau oder Mann, ist nach Gottes Ebenbild geschaffen. Und gleichzeitig gilt: Nur männlich und weiblich gemeinsam ist der ganze Mensch. Das ist eine eigentümliche Spannung, die sich logisch nicht auflösen lässt. Es ist wie bei den beiden Seiten einer Münze: Auf der einen Seite ist jeder und jede Einzelne Träger der Ebenbildlichkeit Gottes, auf der anderen Seite ist der ganze Mensch erst die einmalige dialogische Gemeinschaft von Mann und Frau.

Der Übergang in Genesis 1,27 von der Einzahl zur Mehrzahl betont und verstärkt einerseits die Unterscheidung der Geschlechter innerhalb der Einheit und andererseits die Einheit bei aller Unterscheidung. Mann und Frau sind dabei einander weder entgegengesetzt noch gleich, sondern aufeinander abgestimmt. Der Parallelismus zwischen „der Mensch“ und „männlich und weiblich“ weist darauf hin, dass die geschlechtliche Unterscheidung nicht Hierarchie, sondern Gleichwertigkeit beinhaltet. Keiner von beiden ist der bessere Mensch. Aber auch: Keiner allein ist schon das Ganze. Keiner hat Macht über den anderen. An beide – ohne Unterscheidung – richtet Gott den Auftrag, über die Erde zu herrschen (V 28). Dass damit keine Gewaltherrschaft gemeint ist, sondern das Hüten und Hegen des Gartens, zeigt Genesis 2.
Nicht nur in Genesis 1, 26-27 finden wir diesen spannungsvollen Wechsel von Einzahl und Mehrzahl. Auch in Genesis 2, 24-256 und in Genesis 5, 1b-27 kommt er vor.
Genesis 2, 24 endet mit „sie werden sein ein Fleisch“ – und Vers 25 beginnt mit: „Und sie waren beide nackt, der Mensch und sein Weib“.8 Zwar sind sie „ein Fleisch“, doch gleich danach kommt nicht nur das Wort „beide“, sondern das wird noch verstärkt durch die Wiederholung: „der Mensch und sein Weib“ – so als wüsste man noch nicht, wer gemeint ist, als wolle der Autor der biblischen Geschichte noch einmal betonen: Die ursprüngliche Einheit ist die ursprüngliche Unterscheidung. Weder löst die Einheit die Vielfalt auf, noch zerstört die Vielfalt die Einheit.

Der katholische Theologe Hans Urs von Balthasar hat es so ausgedrückt: „Der Mensch ist, in der vollendeten Schöpfung, duale Einheit, zwei verschiedene, aber voneinander untrennbare Realitäten, deren eine die Fülle der anderen ist, beide auf eine unabsehbare endgültige Einheit hingeordnet; doppelt, ohne die Einheit durch zwei zu multiplizieren, einfach zwei Pole einer einzigen Wirklichkeit, zwei unterschiedliche Vergegenwärtigungen eines einzigen Seins, … eine Existenz in zwei Leben, keineswegs aber zwei Bruchstücke einer Ganzheit, die man nachträglich ... wieder zusammensetzen müsste.“9

Der Mensch, geschaffen nach dem Bild Gottes, spiegelt die Einheit und Vielfalt wider, die auch in Gott gilt, angedeutet durch das Reden Gottes von sich einmal in der Mehrzahl (V 26) und in der Einzahl (V 29).

Die aus diesen Vorgaben sich ergebende einmalige Verwiesenheit des Männlichen auf das Weibliche und des Weiblichen auf das Männliche hat Konsequenzen für die menschliche Gestaltung der Welt, für die Beziehungen der Geschlechter und für unsere Sozialethik – nicht zuletzt im Blick auf sogenannte alternative Lebensformen.

Griechische Mythologie und biblischer Glaube
Die Vorstellung von einem ursprünglich zwittrigen, androgynen10 Menschen ist heute modern. Aus ihr leitet sich die Fehldeutung ab, der Mensch sei bisexuell. Beides hat seinen Ursprung in der griechischen Mythologie, nicht im biblischen Menschenbild.
Von dem Philosophen Platon (geb. 427 v. Chr.) ist uns überliefert: Am Anfang gab es Urmenschen, die Mann-Frau-Gestalten waren. In ihnen war das männliche und das weibliche Geschlecht zugleich enthalten. Sie waren mächtige Kugelgestalten und wurden zu Konkurrenten ihrer Götter, ja kämpften mit den Göttern. Für diese Überheblichkeit wurden sie bestraft, indem sie in zwei Teile geteilt und damit geschwächt wurden. Seit dieser Zeit suchen sich die auseinandergeschnittenen Hälften.
Danach wäre unsere Geschlechtlichkeit die Folge einer göttlichen Strafe. Und die Vorstellung von „Ganzheit“, die dahinter steht, wäre eine symbiotische, spannungslose Ganzheit: jede Spannung ist aufgehoben, wenn die beiden „Hälften“ einander wiedergefunden haben.
Die Bibel sieht das ganz anders. In wunderbarer Klarheit sagt sie, dass der Mensch von Anfang an als Frau und Mann geschaffen wurde und dass unsere Geschlechtlichkeit zur Güte der Schöpfung zählt. Ja, unsere geschlechtliche Verschiedenheit steht in Beziehung zum Bild Gottes.

Gottesebenbildlichkeit
„Als grundlegendste Art und Weise zu verstehen, was der Mensch in seiner ganzen Fülle ist, wird der Ausdruck ‚männlich und weiblich’ zu einer Metapher, deren Inhalt das Bild Gottes ist.“11 Um zu verstehen, was der ganze Mensch nach Gottes Ebenbild ist, wird uns kein anderes „Anschauungsmaterial“ gegeben als eben dieses: männliches und weibliches Geschöpf gemeinsam. Die geschlechtliche Unterscheidung ist zwar keine Beschreibung Gottes, die bildhafte Sprache der Schöpfungsgeschichte bewahrt gerade mit äußerster Sorgfalt das gänzliche Anderssein Gottes. Und doch besteht eine Beziehung zwischen „Gott“, „nach dem Bild Gottes“ und „männlich und weiblich“. Gott gibt uns in der menschlichen Wirklichkeit Anschauungsmaterial, das in einmaliger Weise auf ihn hinweist und dieses Anschauungsmaterial hat mit unserer Geschlechtlichkeit zu tun.

Ist es nicht so: Wir brauchen oft das Anschauliche, um einen Zugang zum Unanschaulichen zu finden. Wenn wir von einem sichtbaren Menschen geliebt werden, fällt es uns leichter zu glauben, dass auch der unsichtbare Gott uns liebt. Wir brauchen das Sichtbare, um dem Unsichtbaren leichter vertrauen zu können. So heißt es in einem Kinderbuch: „Gott ist die Liebe im Kuß unserer Mutter und in der warmherzigen, festen Umarmung unseres Vaters“. Wie viele von uns haben ihr negatives Vaterbild auf Gott übertragen! Beim Propheten Hosea wird die eheliche Liebe zwischen Mann und Frau zu einem sichtbaren Bild für die (unsichtbare) unerschütterliche Treue Gottes zum Menschen.

Wenn in unserer Welt nicht mehr sichtbar wird, dass nur Frau und Mann gemeinsam den ganzen Menschen nach dem Bild Gottes darstellen, wenn uns also das anschauliche Element verlorengeht, weil wir die Einzigartigkeit der Zugehörigkeit von männlich und weiblich leugnen, zum Beispiel indem wir andere sexuelle Lebensformen der Ehe ähnlichstellen, – wie soll da die nächste Generation noch das Urbild des Ebenbildes – Gott – finden?
Hier liegt der tiefste Grund, warum im Alten Testament und dann auch im Neuen Testament homosexuelles Verhalten so eindeutig abgelehnt wird: Homosexuelle Verhaltensweisen lassen das „Abbild vom Urbild“ so unscharf werden, dass man es nicht mehr erkennen kann. Nun mag jemand einwenden, die Ehe ginge doch nicht verloren, wenn ein Teil der Menschheit in anderen sexuellen Lebensformen lebt. Aber die Eindeutigkeit der Ehe geht verloren! Wenn wir die Ehe beliebig werden lassen, indem wir ihr andere sexuelle Lebensformen ähnlichstellen, verletzen wir das geschöpfliche Bild des Menschen und verdunkeln das Bild Gottes auf Erden.

Auf einen anderen hingeordnet
Nur der Mensch besitzt die eigentümliche Fähigkeit, ständig über sich selbst hinauswachsen zu wollen, hinüberzureichen zu dem, was er nicht ist, sich zu transzendieren. Nach der Bibel sind Sich-transzendieren-müssen, Hingeordnetsein auf einen anderen, auf das, was man nicht ist, und Menschsein eines.12 Geschaffen „nach dem Bild Gottes“ weist der Mensch über sich selbst hinaus: Der Mann auf die Frau, die Frau auf den Mann und beide gemeinsam auf Gott.

Das Wort, das in Genesis 1,27 für Bild, Ebenbild gebraucht wird, findet sich in außerbiblischen Texten als Bezeichnung für Götterstatue, Götzenbild. In sumerischen und babylonischen Texten finden wir es als Bezeichnung für die kultischen Abbilder der Götter. Eine solche Kultstatue fand sich z.B. in sumerischen Tempeln. Die Vorstellung war, dass der heidnische Gott in der Statue „wohne“ und sie mit seiner Gegenwart aufgeladen sei.13 Im gesamten mesopotamischen Raum war der Begriff salmu für „Bild, Götterbild, Ebenbild“ gebräuchlich und bezeichnete die Götterstatue, die man sich als mit der Kraft und dem Wesen der Gottheit aufgeladen vorstellte. Normalerweise stand diese Statue in einem unzugänglichen Innenraum und war nur aus der Ferne als etwas Schimmerndes wahrzunehmen. Dieses Wort salmu (in einer hebräisierten Form) wird nun in Genesis 1,27 auf den Menschen angewandt. Israel brauchte deshalb eigentlich keinen Tempel. Die Schöpfungsgeschichte will sagen: Gott schimmert nicht von ferne in Tempeln, sondern der Mensch neben dir, insbesondere der ganze Mensch als weibliches und männliches Geschöpf gemeinsam, ist geschaffen als Gottes salmu.

Der Mensch muss auf einen anderen hingeordnet sein. Aber ob er auf den Gott der Bibel hinweist oder auf einen Götzen, hängt auch davon ab, ob es das richtige oder das falsche Abbild ist. Nach Genesis 1 ist das irdische Abbild, das hinweist auf das göttliche Urbild, männliches und weibliches Geschöpf gemeinsam. Jean Vanier, Begründer der internationalen Arche-Arbeit, nennt die Ehe deshalb die „Ikone Gottes“ auf Erden, also das richtige „Abbild vom Urbild“. Alle falschen Bilder nennt das Alte Testament Götzenbilder. Wenn heute Theologen das biblische Verbot homosexueller Lebensweisen mit dem Hinweis abtun wollen, damals sei nur das Verbot von Götzendienst gemeint gewesen, dann ist dem durchaus entgegenzuhalten: Homosexuelles Verhalten ist und bleibt eine Art „Götzendienst“ in dem umfassenden, anthropologischen Sinn, dass es nicht das „Abbild vom Urbild“ – und deshalb eben ein „Götzenbild“ – abbildet. Homosexuelles Verhalten nimmt in eine Bewegung mit hinein, die nicht auf die gegenseitige Verwiesenheit von männlich und weiblich hinzeigt, sondern die die Geschlechter in entgegengesetzte Richtungen treibt. Homosexuelle Beziehungen (nicht der einzelne homosexuell Empfindende!), in denen entweder das männliche oder das weibliche Element fehlen, sind nicht das Abbild vom Urbild.
Nur in der sexuellen Ehe-Gemeinschaft von Mann und Frau, nicht in anderen sexuellen Beziehungen, kommt die Vermählung von männlich und weiblich zustande, die auf das Urbild des Gottes der Bibel weist.

Sexualität als schöpferische Beziehungsenergie
In der Schöpfungsgeschichte wird die Geschlechtlichkeit nur bei der Erschaffung des Menschen erwähnt, nicht bei der Erschaffung der Tiere. Vom Textzusammenhang her steht sie zunächst in Beziehung zum Bild Gottes. „Die Vermehrung teilt der Mensch mit dem Tier, die Sexualität nicht“14, könnte man sagen. Unsere Sexualität ist die schöpferische Lebens- und Beziehungsenergie, kraft derer wir zum anderen Geschlecht hinüberreichen sollen. Sichtbarer Ausdruck dieser Verwiesenheit auf das andere Geschlecht ist unser Leib. (Der überwiegende Teil unserer gesamten Physiologie von Eizelle und Spermien bis hin zu den Gehirnstrukturen ist komplementär, zum anderen Geschlecht hin, angelegt.) Unsere Geschlechtlichkeit soll uns sagen: Du bist nicht das Ganze. Es gibt noch etwas außerhalb von dir, wonach du dich sehnst.

Erst in der Postmoderne entstand das gesellschaftstheoretische Konzept einer von unserer Leiblichkeit und damit unserer Geschlechtlichkeit losgelösten Sexualität und Identität. In den neuen Gender-Theorien wird Sexualität als „freischwebend“ gedacht, als könnten wir mit ihr tun, was wir wollten und neue Geschlechter erfinden: Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender, fließende Identitäten usw.

Wenn heute gesagt wird, es sei gleich, ob ein Mann mit einer Frau oder mit einem Mann schlafe, dann wird damit der Unterschied von Mann und Frau für unwichtig erklärt, unsere Geschlechtlichkeit für völlig nebensächlich. Es gibt aber kein Menschsein ohne Geschlechtlichkeit, kein Menschsein oberhalb, unterhalb oder neben dem „Frausein“ oder „Mannsein“. Wer das meint und einen gedachten Menschen jenseits konkreter, verleiblichter Geschlechtlichkeit propagiert, nimmt dem Menschen sein tiefstes Menschsein, das gerade in der Annahme dieser Begrenzung besteht: Selbst nicht alles zu sein, sondern in fruchtbarer Spannung über sich hinauszuweisen: die Frau auf den Mann, der Mann auf die Frau, und beide auf Gott.

Allerdings: Unsere durch den Schöpferwillen Gottes gegebene Geschlechtlichkeit kann nicht ausgelöscht, sie kann nur tief verletzt werden.

Die Schöpfungsgeschichte von Mann und Frau in Gen 2, 4b–25
In Genesis 2 lesen wir zum ersten Mal die üblichen hebräischen Wörter für Mann und Frau: ish und isha. Diese Worte werden auch in Genesis 2,24 gebraucht, wo es um die Ehe geht.
Die Schöpfungsgeschichte in Genesis 1 beginnt (1,1) und endet (2,4a) mit dem Himmel. Die Schöpfungsgeschichte in Genesis 2 beginnt mit der Erde (2,4b). Um die Erde geht es, um den Auftrag des Menschen, die Erde zu bebauen, den Garten zu hüten, damit die Liebe darin bleibt. Es geht um den Menschen, der Natur und Beziehungen kultivieren soll. Es geht um sein Verhältnis zur Welt, zu Gott und zwischen Mann und Frau. Genesis 2 endet in Vers 24 mit der Grundaussage der Bibel über die Ehe: „Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhängen, und sie werden zu einem Fleisch werden.“15 Ausdrücklich wird das von Jesus in Matthäus 19 wiederholt und bestätigt.

Das Merk-Würdige in diesem Vers 24 ist: Es heißt nicht, dass der Mann Vater und Mutter verlässt, um eine eigene Familie zu gründen. Nein, er verlässt sie nur um dieser einmaligen, einzigartigen Beziehung zur Frau willen, um dieses „ein Fleisch werden“ willen! Im Neuen Testament greift der Epheser-Brief (5,31-32) das auf und redet davon als von dem großen „Geheimnis“.
Der Ehe zwischen Mann und Frau wird also ein Vorrang vor allen anderen familiären Bindungen, Beziehungen und Vereinnahmungen eingeräumt. Diese Vorrangstellung wird im Neuen Testament bestätigt, wenn die Einehe mit der einmaligen Bräutigam-Braut-Beziehung zwischen Christus und der Gemeinde verglichen wird.

In Genesis 2 geht es um Beziehungen und um das, was wesentlich zu Beziehungen dazugehört. Vom sprachlichen Aufbau hat der Text mehr Bewegung in sich, Spannung, und weist auf mögliche Spannungen hin. In Genesis 1 ist allein Gott der Handelnde, in allen Sätzen ist er das Subjekt. In Genesis 2 kommt auch der Mensch als Subjekt vor.
Wieder spielt die Sprache eine herausragende Rolle. Begeisterung wird ausgedrückt, als der Mann zum erstenmal der Frau gegenübertritt. Da sprudelt er ein ganzes Gedicht hervor. Und von noch etwas ist die Rede, was wesentlich zu Beziehungen und zum Menschsein dazu gehört: von Grenzen.
Wieder redet Gott direkt zum Menschen, aber sein erstes Reden ist verbunden mit einer Grenzziehung, mit einem „du sollst nicht“ (V 17). Noch bevor der Mensch die Tiere benennt und dadurch Erkenntnis gewinnt und Herrschaft über die Welt ausüben kann, soll erlernen, auf Gott acht zu haben. Gott aber zieht ihm eine Grenze. Warum? Friedrich Weinreb legt das so aus: „Alles gehört euch [sagt Gott], alles könnt ihr nehmen, nur das eine nehmt bitte nicht. Gleich erhebt sich die Frage: Warum wird da etwas ausgespart, warum das Eine nicht? In den Geschichten des alten Wissens heißt es dazu: Wenn alles klar wäre, könnte es keine Beziehung geben. Dann wäre alles nur ein mechanischer Ablauf. Wozu bräuchte es dann den Menschen?“16
Grenzen setzen, Spannungen aushalten gehört zu allen Beziehungen dazu. Eine Grenze wird auch gezogen in Vers 24, wo es heißt „…wird Vater und Mutter verlassen“. Wie viele Ehen sind schon daran zerbrochen, weil einer der Ehepartner seinen oder ihren Eltern keine Grenzen gesetzt hat und diese immer in der Ehe mitgemischt haben?

Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei
Nachdem es in Genesis 1 sechsmal hieß: „Und Gott sah, dass es gut war“, heißt es bei der siebten Aufzählung nach der Erschaffung des Menschen (sieben ist die Zahl der Vollkommenheit): „Und siehe es war sehr gut.“ (V 31) Dass Gott den Menschen als Mann und Frau geschaffen hatte, war „sehr gut“. Dem¬gegenüber ertönt das „nicht gut“ von Genesis 2,18: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“
„Gott hätte, um das Problem des Alleinseins des Mann-Menschen zu lösen, einen anderen Mann erschaffen können, vielleicht sogar eine Gemeinschaft von Männern. Stattdessen löste Gott das Alleinsein des Mann-Menschen durch die Erschaffung einer anderen Person, einer Frau, nicht eines Mannes, nicht einiger Frauen, nicht einer Gemeinschaft von Männern und Frauen. Die Einsamkeit des Mannes war nicht Ausdruck dessen, dass ihm andere Menschen fehlten; es war Ausdruck dafür, dass ihm eine Frau fehlte.“17

Genesis 2,18 schließt darum mit der Erklärung Gottes: „Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht“19. (hebräisch: kenägedo, englisch: corresponding to it)
Das hebräische Wort, das hier für „Hilfe“ steht (ezer), ist nicht das gewöhnliche Wort, das meist für „Hilfe“ in der Bibel gebraucht wird. Das Wort „ezer“ kommt im Alten Testament fast nur im Zusammenhang mit Gott vor, z.B. wenn es in den Psalmen heißt: „Gott ist meine Hilfe“, „Gott, komm mir zu Hilfe“. Einige Male wird es auch für lebensnotwendige, menschliche Hilfe gebraucht. Gerade weil es dieses außergewöhnliche Wort für Hilfe ist, ist der einschränkende Zusatz bedeutsam „Hilfe, die ihm entspricht“. Durch den Zusatz wird wieder die Ebenbürtigkeit beider betont: Keiner ist der bessere Mensch. Vielleicht kann man die göttliche Hilfe auch so verstehen, dass sie Hilfe zur Ebenbildlichkeit ist.
Nun würde man vielleicht erwarten, dass diese „Hilfe“ im nächsten Satz vorgestellt wird. Stattdessen kommt scheinbar etwas ganz anderes. Es kommt ein Bericht über das verantwortliche, selbständige Handeln des Menschen, der die Tiere benennt und so ein Ordnen vornimmt. Im Leser wird dadurch eine erwartungsvolle Spannung erzeugt, die sich zuspitzt und unmittelbar vor der „Lösung“ ihren Höhepunkt findet in der Aussage: „aber für den Menschen ward keine Hilfe gefunden.“ Obwohl der Mensch schöpferisch aktiv ist, Macht und Verantwortung hat – so wichtig das alles ist –, seine Einsamkeit wird dadurch nicht gelindert.
An dem, was dann geschieht, ist der Mensch ganz unbeteiligt. Gott allein handelt. Gott lässt den Menschen in einen tiefen Schlaf fallen, in eine göttliche Narkose.19 Er fügt dem Menschen eine Wunde zu (V 2,21b). Vielleicht können wir das deuten als eine Sehnsucht, die er nach dem anderen, nach der anderen in uns hineinlegt.
Gott baut die Frau nicht aus der Erde wie zuvor den Menschen, die Tiere und die Pflanzen, sondern aus der Rippe des Menschen. Damit wird noch einmal betont: Beide sind aus dem gleichen „Stoff“. Nicht die Frau selbst wird aus dem Menschen genommen, sondern nur das „Rohmaterial“, aus dem Gott sie erschafft.
Wie ein Brautvater seinem Sohn führt Gott dann die Frau dem Menschen zu.
Und er? Er jubiliert und dichtet:

Das ist doch Bein von meinem Bein
und Fleisch von meinem Fleisch;
man wird sie Männin nennen,
weil sie vom Mann genommen ist.
(V 23)
Die hebräischen Worte ish (Mann) und isha (Frau), die Luther mit Mann und Männin wiedergegeben hat, sind noch einmal wie ein Wortspiel, das auf einmalige Zugehörigkeit und Harmonie bei aller Unterschiedlichkeit hinweist
In dem Moment, wo Mann und Frau einander gegenüberstehen, betont das Gedicht die Ähnlichkeit, ja Gleichheit, nicht die anatomischen oder sonstigen Unterschiede. Es geht darum: Beide gehören in einmaliger Weise zusammen.
Ein jüdischer Kommentar sagt dazu: „Aus dem Schöpfungsbericht schließen die Gelehrten des Talmud, dass der Mensch erst in der Zusammenführung von männlich und weiblich diesen Namen verdient: Mann (i[j]sch) und Frau (ischa[h]) haben Gemeinsames und Unterscheidendes in ihren Bezeichnungen. In beiden ist jeweils das hebräische Wort für Feuer (esch) enthalten, nämlich die Buchstaben Alef (hier i, dort e gesprochen) und Schin. Neben esch bleibt jeder Bezeichnung noch ein Buchstabe vom Gottesnamen (unvokalisiert: jh) innewohnend, der erst durch ihre Vereinigung aktiviert wird. Arbeiten Mann und Frau zusammen und sind sich einander Gegenpart und Hilfe, ist der Name Gottes (jah) mit ihnen, gehen sie getrennte Wege und wirken nicht zusammen, werden sie gleichsam vom Feuer verzehrt.“20

Männlich und weiblich
Gott hat die Frau aus einem Bauteil des Menschen, aus der Rippe, gebaut. Heinrich
Spaemann schreibt dazu: „Das will für uns besagen: In jedem Menschen sind sie beide. In jedem Menschen gibt es den Empfangenden, den Wartenden, den Lauschenden, den Zusammenhänge Erkennenden, und es gibt den Tätigen, der aus Zusammenhängen Konsequenzen zieht, der Wälder rodet, der Wüsten zu Wasserquellen macht, wie es in der Bibel steht. Diese beiden Seiten im Menschen müssen sein, und jeder Mensch, Mann oder Frau, hat auch beide Seiten. Nur dass eben diese beiden Seiten ihre je eigenen Ausprägungen in Mann und Frau erfahren.“21

Aus Biologie und Medizin wissen wir, dass männliche und weibliche Hormone – wenn auch in ganz unterschiedlichem Mengenverhältnis – im Organismus beider Geschlechter vorkommen. Männliches und Weibliches gibt es in jedem Menschen. Nur dass dies bei der Frau eine ganz andere Ausprägung erfährt als beim Mann. Wenn wir nichts vom Gegen¬geschlechtlichen in uns hätten, ständen wir doch nur wie Fremde voreinander.

Der „Mensch“ ist nicht etwas Gemeinsames „oberhalb“ des Weiblichen und Männlichen, der „Mensch“ ist synonym mit „männliches und weibliches Geschöpf“. In Anlehnung an ein Gedicht von T.S. Elliot über die Liebe schreibt der Psychotherapeut Jeffrey Satinover, der „Tanz“ zwischen Männlichem und Weiblichem müsse zweifach getanzt werden: in uns und zwischen uns: „Gottes liebender Wille hat den Tanz für unser Leben so angeordnet, dass er zweifach getanzt werde: zwischen uns und in uns. Wenn wir aus unseren Verletzungen heraus ihn in uns anhalten..., wird er auch zwischen uns aufhören. Um wirklich Mann und wirklich Frau zu sein, männliche Männer und weibliche Frauen, muss der göttlich angeordnete Tanz wieder beginnen – mitten durchs Feuer. (...) Ein Hauptmerkmal psychologischer und geistlicher Erkrankung der Seele ist genau dieses Auseinanderfallen von männlich und weiblich, von Mann und Frau – in uns und zwischen uns. Männlichkeit bleibt unter sich – in der Seele und in der Gesellschaft – wie die eingeschlechtlichen und anti-geschlechtlichen Bündnisse in Orwells grauenhafter Vision ’1984‘. Das Ergebnis ist unechtes oder verweiblichtes Mannsein, ebenso wie unechtes oder vermännlichtes Frausein.“22

Mann und Frau
Erst am Ende des Jubelliedes (V 23) kommt das übliche hebräische Wort für Mann (ish) vor, vorher ist nur vom Menschen (ha-adam) die Rede. Vielleicht kann man das so deuten: Erst indem der Mann die Frau erkennt, erkennt er sich selbst. Indem ihm die Frau gegenübertritt, wird er selbst erst zum Mann. Im Angesicht der anderen erkennt er, wer er selbst in Wahrheit ist; ja erst in der Begegnung mit der Frau findet er zu seiner eigenen Bestimmung als Mann.
Beide sind jetzt auf einmal da: Frau und Mann. Indem es den Mann gibt, gibt es die Frau; indem es die Frau gibt, gibt es sie beide.23 Und gleichzeitig ist noch etwas Drittes da: die Liebe zwischen beiden. Wie könnte sonst das Gedicht (V 23) entstehen? Indem Gott Mann und Frau erschafft, schafft er gleichzeitig etwas Drittes: die liebevolle Beziehung zwischen beiden. Wie könnte sonst der Mann so von sich absehen und die andere, die Frau, preisen, wenn nicht die Liebe da wäre? Wie könnte er erkennen, dass sie Bein von seinem Bein und Fleisch von seinem Fleisch ist, wenn nicht die Liebe da wäre? Sonst würde er sich nur abgrenzen. Im Gedicht des Mannes steht das Du im Vordergrund, das Hinüberreichen zur Anderen, ohne das Lieben und Gemeinschaft nicht möglich sind.

Das Gegenseitige ist die Brücke zum Ganzen
Im postmodernen Zeitalter des Individualismus heißt es: „Die Ursehnsucht allen Liebens ist wohl die Sehnsucht nach dem eigenen Selbst“24. Doch die biblische Botschaft ist eine ganz andere. Voraussetzung zum Lieben ist das Begeistertsein vom Du. Die grundlegende biblische Aussage zur Ehe (Genesis 2,24) steht direkt im Anschluss an den Freudenruf des Mannes über das andere Geschlecht.
Nicht die Suche nach uns selbst ist das Ziel menschlicher Beziehungen, sondern das Hinüberreichen zum Du. Eugen Rosenstock-Huessy schreibt: „Ehe ist nur dadurch vollziehbar, dass sich Mann und Weib nicht auf den eigenen Standpunkt stellen. Bleibt jeder auf seinem Standpunkt, so folgt Scheidung oder Ehe ist nie zustande gekommen. Ehe besteht darin, dass mein Wohl dein, dein Wohl mein Anliegen wird. Die Ergänzung tritt nicht ein, solange in die Beteiligten nicht ein Bewusstsein ihres Entgegengesetzten einzieht. Ich muss auf deine Leistung blicken und du auf meine. ... Jedes Ganze verlangt von seinen Gliedern ein Absehen von der eigenen Art und eine Bewunderung der entgegengesetzten. (…) Wir müssen uns gegenseitig mögen und billigen, lieben und bewundern. Das Gegenseitige ist die Brücke zum Ganzen. Wer das Ganze direkt anstarrt, erreicht gar nichts. Durch Absehen von uns selber schaffen wir die Gemeinschaften.“25
„Absehen von uns selber“ – in geschlechtlicher Hinsicht gilt dies für das Absehen vom eigenen Geschlecht. Aber in allgemeinerer Weise gilt das auch für alle Gemeinschaften. Auch ein neuer Geschlechter- und Generationenvertrag in unserer Gesellschaft wird nur durch die Bereitschaft aller Beteiligten zustande kommen können, von sich und dem eigenen Vorteil auch abzusehen.

Die Ehe – ein Friedensschluss
Die Frage ist heute, was Ehe eigentlich sei. Ganz verschiedene Modelle werden vorgestellt. Die Antwort der Bibel ist eindeutig: Ehe ist eine öffentlich erklärte, einzigartige sexuelle Gemeinschaft zwischen Mann und Frau, die auf der Unterschiedlichkeit, Ergänzungsmöglichkeit und Ergänzungsbedürftigkeit der beiden Geschlechter beruht. Nur die sexuell treue Ehegemeinschaft von Frau und Mann ist sichtbarer Hinweis auf den Treuebund, den Gott mit seiner Schöpfung eingegangen ist und auf den die Bibel immer wieder in den Metaphern von Mann und Frau spricht.
Von der Wortbedeutung her geht Ehe mit dem mittelhochdeutschen „eija“ zusammen, was den befriedeten Raum in einer Gemeinschaft bezeichnete.
Grundlage der Eheschließung war immer öffentliches Recht, Gesetz, nie einfach Privatvertrag. Ehe, Gesetz, echt und Ewigkeit gehören zur selben Sprachwurzel. Die Ehegelübde sind uns heute fast unverständlich geworden, weil wir sie nur noch privat sehen. Wir haben weitgehend vergessen, dass die Ehe das Haupt-Bindeglied zwischen den Geschlechtern, Mann und Frau, und dadurch zugleich zwischen den Generationen ist. Erst durch Eheschließungen wird das Leben in Generationen gegliedert, sonst gibt es nur jüngere und ältere Einzelmenschen. Und erst durch diese Gliederung in Generationen entstehen Großeltern und Enkel, Vergangenheit und Zukunft, hat der Mensch Geschichte und wird in den Strom der Geschichte mit hineingenommen.
Viele Ehen scheitern. Völligen Frieden kann der Mensch nicht schaffen. Und doch: Von allem, was möglich ist, bringt die Ehe das Möglichste an Frieden zwischen Frau und Mann und zwischen den Generationen. Im gelungenen Eheleben werden tatsächlich nicht nur leibliche Kinder gezeugt, es wird auch eine Leistung vererbt: Der Friedensschluss der Geschlechter. Dieser Friedensschluss zwischen Mann und Frau – wenn er gelingt – wird ganz wesentlich die Weltanschauung unserer Kinder und der nächsten Generation bestimmen.26
 

In: Salzkorn. Klarer – schärfer – lebendiger. September-Oktober 5/2006 Haargenau als Mann und Frau. Wie die Gender-Perspektive versucht, die Geschlechterpolarität umzubürsten. S. 230-240
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Anmerkungen:

1 Siehe Philipp, Wolfgang: „Die Absolutheit des Christentums und die Summe der Anthropologie“, Quelle & Meyer, Heidelberg 1959, S. 122.
2 Genesis 1, 26-30.
3 Wichtige Einsichten für die folgende Ausführung verdanke ich dem Buch von Trible, Phyllis: Gott und Sexualität im Alten Testament, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1993.
4 Siehe Melzer, Friso: „Unsere Sprache im Lichte der Christusoffenbarung“. Mohr, Tübingen 1995, S. 9.
5 Hier wurde die Elberfelder Übersetzung (Wuppertal 1987) gewählt, da sie von der Satzstellung her dem hebräischen Urtext entspricht, wie übrigens auch die Menge-Übersetzung.
6 Luther-Übersetzung, rev. 1984: „Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen, und sie werden sein ein Fleisch. Und sie waren beide nackt, der Mensch und sein Weib, und schämten sich nicht.“
7 Luther-Übersetzung, rev. 1984: „... machte er ihn nach dem Bilde Gottes und schuf sie als Mann und Weib und segnete sie und gab ihnen den Namen ‚Mensch‘ zur Zeit, da sie geschaffen wurden.“
8 Im Hebräischen ist das noch stärker ausgedrückt. Das letzte Wort von Vers 24 heißt „ein“ und das erste Wort von Vers 25 heißt „beide“.
9 Balthasar, Hans Urs von: Kehl, M. und W. Löser (Hrsg.), In der Fülle des Glaubens – Hans Urs von Balthasar Lesebuch, Herder Verlag, Freiburg 1980, S. 78.
10 androgyn = männlich und weiblich zugleich; halb männlich, halb weiblich.
11 Trible, Ph., a.a.O., S. 41.
12 Siehe dazu auch Philipp, W., a a.O., S. 140 f.
13 Siehe Gerl-Falkovitz, Hanna-Barbara: Fragen an die feministische Göttin; in: Theologische Beiträge, Brockhaus, 28 (1997) 5, S. 264.
14 Siehe Trible, Ph,. a.a.O., S. 36.
15 Revidierte Elberfelder Bibel, Wuppertal 1987.
16 Weinreb, Friedrich: Die Wurzeln der Aggression, Thauros Verlag, Weiler 1980, S. 7.
17 Prager, Dennis: Die Ablehnung der Homosexualität im Judentum, Brennpunkt Seelsorge 1997/4, Reichelsheim.
18 Revidierte Elberfelder Bibel, Wuppertal 1987
19 Siehe auch Alter, Robert: The Art of Biblical Narrative, Basic Books 1983.
20 Herweg, Rachel Monika: Die jüdische Mutter, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1995, S. 9.
21 Spaemann, Heinrich: „Vom wiedergefundenen Vater“; in: „OJC-Freundesbrief“, Reichelsheim, 1993/4, S. 133.
22 Satinover, Jeffrey: „The True Masculine and the True Feminine: Are These the Same as Jung’s Anima and Animus?”, engl. und dt. in: Bulletin des DIJG, Nr. 4, Herbst 2002.
www.dijg.de.
23 Siehe auch Trible, Phyllis, a.a.O.
24 Gissrau, Barbara: Die Sehnsucht der Frau nach der Frau, Kreuz Verlag, Stuttgart 1993, S. 172.
25 Rosenstock-Huessy, Eugen: Soziologie I, Kohlhammer, Stuttgart 1956, S. 117.
26 Zu den beiden letzten Abschnitten siehe Rosenstock-Huessy, E.: a.a.O., zuletzt insbes. S. 257.

In: Salzkorn. Klarer – schärfer – lebendiger. September-Oktober 5/2006 Haargenau als Mann und Frau.
Wie die Gender-Perspektive versucht, die Geschlechterpolarität umzubürsten. S. 230-240