„Als spreche man mit den Worten Gottes“



Zweite Predigt
„Als spreche man mit den Worten Gottes“
Der verkündigte Jesus
P. R. Cantalamessa O.M.Cap.
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1. Von Jesus, der verkündet, zum verkündigten Jesus

Im zweiten Brief an die Korinther – dem Brief schlechthin, der dem Dienst der Verkündigung gewidmet ist – schreibt der hl. Paulus diese programmatischen Worte: „Wir verkündigen nämlich nicht uns selbst, sondern Jesus Christus als den Herrn, uns aber als eure Knechte um Jesu willen (2 Kor 4,5). Denselben Gläubigen Korinths hatte er in einem vorhergehenden Brief geschrieben: „Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten!“ (1 Kor 1,23). Wenn der Apostel mit einem einzigen Wort den Inhalt der christlichen Verkündigung umfassen will, so ist dieses Wort immer die Person Jesu Christi!

In diesen Aussagen ist Jesus nicht mehr wie in den Evangelien in seiner Qualität als Verkündiger, sondern in seiner Qualität als Verkündigter betrachtet. Parallel dazu sehen wir, dass der Ausdruck „Evangelium Jesu“ eine neue Bedeutung annimmt, ohne dabei seine alte zu verlieren; von der Bedeutung der „frohen Botschaft, die Jesus bringt“ (Jesus als Subjekt!) findet der Übergang zur Bedeutung der „frohen Botschaft über Jesus“, oder Jesus betreffend (Jesus als Objekt!) statt.

Dies ist die Bedeutung, die das Wort Evangelium am feierlichen Anfang des Römerbriefs hat: „Paulus, Knecht Christi Jesu, berufen zum Apostel, auserwählt, das Evangelium Gottes zu verkündigen, das er durch seine Propheten im voraus verheißen hat in den heiligen Schriften: das Evangelium von seinem Sohn, der dem Fleisch nach geboren ist als Nachkomme Davids, der dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten, das Evangelium von Jesus Christus, unserem Herrn“ (Röm 1-4).

In dieser Betrachtung konzentrieren wir uns auf „das Wort Gottes in der Sendung der Kirche“. Dies ist das Thema, mit dem sich das dritte Kapitel der Lineamenta der Bischofssynode beschäftigt, die die verschiedenen Aspekte und Bereiche der Verwirklichung entsprechen dem folgenden Schema erhellt:

• Die Sendung der Kirche ist die Verkündigung Christi, des fleischgewordenen Wortes Gottes.
• Das Wort Gottes muss allen in allen Zeiten zur Verfügung stehen.
• Das Wort Gottes, Gnade der Gemeinschaft unter den Christen.
• Das Wort Gottes, Licht für den interreligiösen Dialog:
a. mit dem Volk der Juden
b. mit den Völkern anderer Religionen
• Das Wort Gottes, Sauerteig der modernen Kulturen
• Das Wort Gottes und die Geschichte des Menschen

Ich beschränke mich darauf, einen besonderen und sehr begrenzten Punkt zu behandeln, von dem ich jedoch glaube, dass er einen Einfluss auf die Qualität und die Wirksamkeit der Verkündigung der Kirche in all ihren Formen hat.

2. „Unnütze“ und „wirksame“ Worte

Im Matthäusevangelium wird im Zusammenhang der Rede über die Worte, die das Herz offenbaren, ein Wort Jesu wiedergegeben, das die Leser des Evangeliums aller Zeiten erzittern ließ: „Ich sage euch: Über jedes unnütze Wort, das die Menschen reden, werden sie am Tag des Gerichts Rechenschaft ablegen müssen“ (Mt 12,36).

Es ist immer schwierig gewesen zu erklären, was Jesus mit dem „unnützen Wort“ meinte. Ein gewisses Licht ergibt sich für uns aus einem anderen Abschnitt aus dem Matthäusevangelium (7,15-20), an der das Thema vom Baum wiederkehrt, den man an den Früchten erkennt, und wo die ganze Rede anscheinend den falschen Propheten gilt: „Hütet euch vor den falschen Propheten; sie kommen zu euch wie (harmlose) Schafe, in Wirklichkeit aber sind sie reißende Wölfe. An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.“

Wenn das Wort Jesu in einer Beziehung zu seiner Rede von den falschen Propheten steht, so können wir vielleicht entdecken, was das Wort „unnütz“ bedeutet. Der ursprüngliche Begriff, der mit „unnütz“ übersetzt wird, ist argóni, was heißt „ohne Wirkung“ (alpha privativum + ergon, Werk). Einige moderne Übersetzungen, unter ihnen die italienische der italienischen Bischofskonferenz, geben den Begriff mit „unbegründet“ wieder, das heißt: mit einem passiven Wert: ein Wort, das keine Grundlage hat, also Verleumdung ist. Dies ist ein Versuch, um der Drohung Jesu einen beruhigenderen Sinn zu geben. Es gibt da nämlich dann nichts besonders Beunruhigendes, wenn Jesus sagt: für jede Verleumdung muss man sich vor Gott verantworten!

Die Bedeutung von argóni jedoch ist vielmehr aktiv und will besagen: ein Wort, das nichts gründet, das nichts hervorbringt: also leer, steril, ohne Wirksamkeit ist (Vgl. M. Zerwick, Analysis philologica Novi Testamenti Graeci, Romae 1953, ad loc.). In diesem Sinn war die antike Übersetzung der Vulgata korrekter: verbum otiosum, ein „müßiges, unnützes“ Wort, das im Übrigen auch heute von den meisten Übersetzungen benutzt wird.

Es ist nicht schwierig zu verstehen, was Jesus sagen will, wenn wir dieses Adjektiv mit jenem vergleichen, das in der Bibel ständig das Wort Gottes charakterisiert: das Adjektiv energes, wirksam, das wirkt, dem immer eine Wirkung (ergon) folgt (dasselbe Adjektiv, von dem das Wort „energisch“ herstammt). Der hl. Paulus schreibt zum Beispiel an die Thessaloniker: „Darum danken wir Gott unablässig dafür, dass ihr das Wort Gottes, das ihr durch unsere Verkündigung empfangen habt, nicht als Menschenwort, sondern - was es in Wahrheit ist - als Gottes Wort angenommen habt; und jetzt ist es in euch, den Gläubigen, wirksam (energeitai)“ (1 Thess 2,13). Die Entgegensetzung zwischen Wort Gottes und Menschenwort ist hier implizit als die Entgegensetzung zwischen dem Wort, „das wirkt“ und dem Wort, „das nicht wirkt“, vorgestellt, zwischen dem wirksamen Wort und dem unwirksamen und leeren Wort.

Auch im Brief an die Hebräer finden wir diesen Begriff der Wirksamkeit des Wortes Gottes: „Denn lebendig ist das Wort Gottes, (und) kraftvoll (energes)“ (Hebr 4,12). Dies aber ist eine althergebrachte Vorstellung, in Jesaja erklärt Gott, dass das Wort, das seinen Mund verlässt, nie „leer“ zu ihm zurückkehrt, ohne bewirkt zu haben, wozu er es gesandt hat“ (vgl. Jes 55,11).

Das unnütze Wort, für das die Menschen am Tag des Gerichts Rechung tragen müssen, ist also nicht jedes unnütze Wort, es ist das unnütze, leere Wort, das von dem ausgesprochen ist, der hingegen die „energischen“ Worte Gottes aussprechen sollte. Kurz: es ist das Wort des falschen Propheten, der nicht das Wort von Gott empfängt und dennoch die anderen zum Glauben verleitet, dass es sich um das Wort Gottes handelt. Es geschieht genau das Umgekehrte von dem, was der hl. Paulus sagt: indem ein Menschenwort empfangen wurde, wird es nicht für das genommen, was es ist, sondern für das, was es nicht ist, und das heißt: für ein göttliches Wort. Der Mensch wird für ein jedes unnützes Wort über Gott zur Rechenschaft gezogen werden! Das also ist der Sinn der schwerwiegenden Mahnung Jesu.

Das unnütze Wort ist die Fälschung des Wortes Gottes, es ist der Parasit des Wortes Gottes. Es wird an den Fürchten erkannt, die es nicht hervorbringt, da es per definitionem steril, unwirksam ist (im Guten). Gott „wacht über sein Wort“ (vgl. Jer 1,12), er ist eifersüchtig auf es und kann es nicht gestatten, dass sich der Mensch der in ihm enthaltenen göttlichen Macht aneignet.

Der Prophet Jeremia erlaubt es uns, wie vor einem Verstärker die Mahnung zu hören, die sich unter jenem Wort Jesu verbirgt. In ihm erscheint es nunmehr klar, dass es um die falschen Propheten geht: „So spricht der Herr der Heere: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen. Sie betören euch nur; sie verkünden Visionen, die aus dem eigenen Herzen stammen, / nicht aus dem Mund des Herrn… Der Prophet, der einen Traum hat, erzählt nur einen Traum; wer aber mein Wort hat, der verkündet wahrhaftig mein Wort. Was hat das Stroh mit dem Korn zu tun? - Spruch des Herrn. Ist nicht mein Wort wie Feuer - Spruch des Herrn - und wie ein Hammer, der Felsen zerschmettert? Darum gehe ich nun gegen die Propheten vor - Spruch des Herrn -, die einander meine Worte stehlen. Nun gehe ich gegen die Propheten vor - Spruch des Herrn -, die ihre Zunge gebrauchen, um Sprüche zu machen“ (Jer 23,16.28-31).

3. Wer sind die falschen Propheten?

Aber wir sind nicht hier, um eine Erörterung über die falschen Propheten in der Bibel anzustellen. Wie immer ist es so, dass in der Bibel von uns und zu uns gesprochen wird. Jenes Wort Jesu urteilt nicht über die Welt, sondern über die Kirche; die Welt wird nicht aufgrund der unnützen Worte gerichtet werden (all ihre Worte sind im oben beschriebenen Sinn unnütze Worte!), sondern sie wird dafür gerichtet werden, dass sie nicht an Jesus geglaubt hat (vgl. Joh 16,9). Die Menschen, die über jedes unnütze Wort Rechenschaft ablegen müssen, sind die Männer der Kirche; wir sind es, die Verkünder des Wortes Gottes.

Die „falschen Propheten“ sind nicht nur jene, die von Zeit zu Zeit Irrlehren verbreiten; es sind auch jene, die das Wort Gottes „verfälschen“. Paulus ist es, der diesen Begriff benutzt, indem er ihn der Umgangssprache entnimmt; wörtlich bedeutet er „das Wort verwässern“, wie dies die betrügerischen Wirte tun, wenn sie ihren Wein mit Wasser verlängern (vgl. 2 Kor 2,17;4,2). Die falschen Propheten sind die, die das Wort Gottes nicht in seiner Reinheit vorlegen, sondern es verdünnen und in tausend menschlichen Worten ermüden, die ihrem Herzen entspringen.

Der falsche Prophet bin auch ich, jedes Mal, wenn ich der „Schwäche“, der „Dummheit“, der Armut und Nacktheit des Wortes nicht vertraue und es einkleiden will und das Kleid mehr achte als das Wort, und ich mehr Zeit für die Kleider aufwende als für das Wort, wenn ich vor ihm in Gebet stehe, es anbete und es in mir zu leben beginnt.

Jesus verwandelte in Kana in Galiläa Wasser in Wein, das heißt den toten Buchstaben in den lebendig machenden Geist (so die geistliche Interpretation des Ereignisses durch die Väter); die falschen Propheten sind jene, die das Umgekehrte tun und den reinen Wein des Wortes Gottes in Wasser verwandeln, das niemanden belebt, in tote Buchstaben, in leeres Geschwätz. Unterschwellig schämen sie sich des Evangeliums (vgl. Röm 1,16) und der Worte Jesu, da sie „zu hart“ seien für die Welt, oder zu arm und nackt für die Gelehrten, und so versuchen sie, sie mit dem zu würzen, was Jeremia „die Phantasien ihres Herzens“ nannte.

Der hl. Paulus schrieb an seinen Jünger Timotheus: „Bemüh dich darum, dich vor Gott zu bewähren als ein Arbeiter, der sich nicht zu schämen braucht, als ein Mann, der offen und klar die wahre Lehre vertritt. Gottlosem Geschwätz geh aus dem Weg; solche Menschen geraten immer tiefer in die Gottlosigkeit“ (2 Tim 2,15-16). Das profane Geschwätz ist das, was nichts mit dem Plan Gottes, was nichts mit der Sendung der Kirche zu tun hat. Zu viele Menschenworte, zu viele unnütze Worte, zu viele Reden, zu viele Dokumente. Im Zeitalter der Massenkommunikation läuft die Kirche Gefahr, im „Stroh“ der unnützen Worte zu versinken, die nur um des Sagens willen ausgesprochen werden, die nur deshalb geschrieben werden, weil es Zeitungen und Zeitschriften gibt, welche damit zu füllen sind.

Auf diese Weise bieten wir der Welt einen ausgezeichneten Vorwand, um ruhig in ihrem Unglauben und in ihrer Sünde zu verharren. Würde sie das wahre Wort Gottes hören, so wäre es für den Ungläubigen nicht so leicht davonzukommen, indem er sagt (wie er es oft tut, nachdem er unsere Predigten gehört hat): „Worte, Worte, Worte!“. Der hl. Paulus nennt die Worte Gottes „die Waffen, die wir bei unserem Feldzug einsetzen“ und sagt, dass nur sie „durch Gott die Macht (haben), Festungen zu schleifen; mit ihnen reißen wir alle hohen Gedankengebäude nieder, die sich gegen die Erkenntnis Gottes auftürmen. Wir nehmen alles Denken gefangen, sodass es Christus gehorcht” (2 Kor 10,3-5).

Die Menschheit leidet an Lärm, sagte der Philosoph Kierkegaard; man muss ein „Fasten“ ausrufen, aber ein Fasten an Worten; es ist notwendig, dass einer schreit, wie es Moses eines Tages tat: „Sei still und höre, Israel“ (Dt 27,39). Der Heilige Vater hat uns an die Notwendigkeit dieses Fastens an Worten in seiner Begegnung in der Fastenzeit mit dem römischen Klerus erinnert, und ich glaube, dass seine Einladung, wie gewöhnlich, an die Kirche erging, noch bevor sie die Welt betraf.

4. Jesus ist nicht gekommen, um uns belanglose Dinge zu sagen

Mich haben diese Worte Péguys immer beeindruckt:

„Jesus Christus, meine Tochter,
- so wendet sich die Kirche an ihre Kinder -
ist nicht gekommen, um uns Belangloses zu sagen…
Er hat nicht die Reise unternommen, um auf die Erde herabzusteigen,
Um uns Rätsel und Witze zu erzählen.
Es ist nicht die Zeit, um sich zu amüsieren…
Er hat sein Leben nicht hergegeben…
Um uns Flunkereien zu erzählen.“
(Ch. Péguy, Il portico del mistero della seconda virtù, in Oeuvres poétiques complètes, Gallimard 1975, S. 587f.)

Die Sorge darum, das Wort Gottes von jedem anderen Wort zu unterscheiden, ist derart, dass Jesus, als er seine Apostel aussendet, ihnen gebietet, keinen unterwegs zu grüßen (vgl. Lk 10,4). Ich habe die Erfahrung gemacht, dass dieses Gebot manchmal wörtlich zu nehmen ist. Wenn man sich aufhält, um die Leute zu grüßen, während man dabei ist, die Predigt zu beginnen, zerstreut dies unvermeidlich die Konzentration auf das zu verkündigende Wort, es lässt dies den Sinn für seine Andersheit gegenüber jedem menschlichen Reden verlieren. Es ist dies dasselbe Bedürfnis, das man spürt (oder spüren sollte), wenn man sich für die Feier der Messe einkleidet.

Das Bedürfnis ist noch stärker, wenn es sich um den Inhalt selbst der Verkündigung handelt. Im Markusevangelium zitiert Jesus das Wort des Jesaja: „Es ist sinnlos, wie sie mich verehren; was sie lehren, sind Satzungen von Menschen. (Jes 29,13)“; dann fügt er zu den Pharisäern und Schriftgelehrten gewandt hinzu: „Ihr gebt Gottes Gebot preis und haltet euch an die Überlieferung der Mensche. Und weiter sagte Jesus: „Sehr geschickt setzt ihr Gottes Gebot außer Kraft und haltet euch an eure eigene Überlieferung“ (Mk 7,7-13).

Wenn es einem nicht gelingt, das einfache und nackte Wort Gottes vorzustellen, ohne es durch tausend Unterscheidungen und Präzisierungen und Hinzufügungen und Erklärungen zu filtern, die in sich auch richtig sind, aber das Wort Gottes ermüden, so tut man genau dasselbe, für das Jesus an jenem Tag die Pharisäer und Schriftgelehrten tadelte: man „setzt das Wort Gottes außer Kraft“; man „blockiert“ es und lässt es zum großen Teil seine Kraft verlieren, in die Herzen der Menschen einzudringen.

Das Wort Gottes darf nicht benutzt werden, um belanglose Reden zu halten oder schon gemachte und gänzlich menschliche Reden mit göttlicher Autorität zu ummanteln. In uns nahe stehenden Zeiten konnte man sehen, wohin eine derartige Tendenz führt. Das Evangelium wurde instrumentalisiert, um jeden möglichen menschlichen Plan zu stützen: vom Klassenkampf bis hin zum Tod Gottes.

Wenn eine Hörerschaft von psychologischen, gewerkschaftlichen, politischen oder der Leidenschaft zugehörigen Bedingtheiten derart voreingenommen ist, dass es von Anfang an unmöglich ist, nicht das zu sagen, was sie sich erwartet, und ihr nicht völlig in allem recht zu geben; wenn da keine Hoffnung besteht, die Zuhörer zu dem Punkt zu bringen, an dem es möglich ist, ihnen zu sagen: „Kehrt um, und glaubt!“ – dann ist es gut, überhaupt nicht das Wort Gottes zu verkünden, damit es nicht zu parteilichen Zwecken instrumentalisiert und somit verraten wird. Mit anderen Worten: es ist besser, darauf zu verzichten, eine richtiggehende Verkündigung zu machen und sich darauf zu beschränken, zuzuhören, versuchen zu verstehen und Anteil zu nehmen an den Ängsten und Leiden der Menschen, statt mit der Gegenwart und der Liebe des Evangeliums des Reiches zu predigen. Jesus erweist sich im Evangelium sehr bedacht darauf, sich nicht zu politischen und parteilichen Zwecken instrumentalisieren zu lassen.

Die Wirklichkeit der Erfahrung und somit des Menschenwortes ist natürlich nicht aus der Verkündigung der Geschichte ausgeschlossen, sie muss aber dem Wort Gottes unterworfen sein, um Dienst an ihm zu werden. Wie es in der Eucharistie der Leib Christi ist, der den aufnimmt, der ihn isst, und nicht umgekehrt, so muss es in der Verkündigung das Wort Gottes sein, das das lebensnotwendige stärkere Prinzip ist, dem das Menschenwort zu unterwerfen und anzugleichen ist, und nicht das Gegenteil. Deshalb ist es notwendig, den Mut zu haben, bei der Behandlung von lehrmäßigen und disziplinären Problemen der Kirche öfter vom Wort Gottes, insbesondere des Neuen Testaments, auszugehen und dann an es gebunden zu bleiben, in der Sicherheit, dass so viel sicherer das Ziel zu erreichen ist, das darin besteht, bezüglich jeder Fragestellung den Willen Gottes zu entdecken.

Dasselbe Bedürfnis kann auch in den religiösen Gemeinschaften wahrgenommen werden. Es besteht die Gefahr, dass bei der Bildung der Jugend und der Novizen in den Exerzitien und im restlichen Leben der Gemeinschaft mehr Zeit auf das Studium der Schriften des eigenen Gründers verwandt wird (die oft sehr arm an Inhalt sind) als auf das Wort Gottes.

5. Wie mit Worten Gottes sprechen

Es ist mir klar, dass das, was ich sage, einen schwerwiegenden Einwurf aufkommen lassen kann. Soll sich also die Verkündigung der Kirche auf eine Abfolge (oder eine Flut) von Bibelzitaten reduzieren, mit Kapitel- und Versangabe, wie bei den Zeugen Jehovas und anderen fundamentalistischen Gruppen? Gewiss nicht. Wir sind Erben einer andersgearteten Tradition. Ich erkläre, was ich damit meine, an das Wort Gottes gebunden zu bleiben.

Immer im zweiten Brief an die Korinther schreibt der hl. Paulus: „Wir sind jedenfalls nicht wie die vielen anderen, die mit dem Wort Gottes ein Geschäft machen. Wir verkünden es aufrichtig und in Christus, von Gott her und vor Gott“ (2 Kor 2,17), und der hl. Petrus ermahnt in seinem ersten Brief die Christen mit den Worten: „Wer redet, der rede mit den Worten, die Gott ihm gibt“ (1 Petr 4,11). Was will das heißen: „in Christus sprechen“, oder „mit den Worten reden, die Gott einem gibt“? Es will sicher nicht heißen, im materiellen Sinne und nur die von Christus und von Gott in der Schrift ausgesprochenen Worte zu wiederholen. Es will besagen, dass die grundlegende Inspiration, der Gedanke, der den Rest „informiert“ und stützt, von Gott kommen muss, nicht vom Menschen. Der Verkündiger muss „von Gott bewegt“ sein und so sprechen, als sei er anwesend.

Es gibt zwei Weisen, um eine Predigt oder irgendeine andere mündliche oder schriftliche Verkündigung des Glaubens vorzubereiten. Ich kann mich zuerst an den Tisch setzen und dabei selbst das zu verkündigende Wort und das zu entfaltende Thema wählen und mich dabei auf meine Kenntnisse, meine Vorlieben usw. usw. basieren, und dann, ist erst einmal die Rede vorbereitet, mich niederknien, um hastig Gott zu bitten, das, was ich geschrieben habe, zu segnen und meinen Worten Wirkkraft zu verleihen. Das ist schon gut so, aber es ist nicht der prophetische Weg. Man muss vielmehr das Gegenteil tun. Zuerst muss man niederknien und Gott fragen, welches Wort er sagen will; dann setzt man sich an den Tisch und nutzt seine eigenen Kenntnisse, um jenem Wort Gestalt zu geben. Dies ändert alles, da so es nicht Gott ist, der sich mein Wort aneignen muss, sondern da so ich es bin, der sich sein Wort aneignet.

Man muss von der Gewissheit des Glaubens ausgehen, dass der auferstandene Herr zu jedem Umstand im Herzen ein Wort hegt, das er seinem Volk mitteilen will. Dieses Wort ändert die Dinge, und dieses Wort ist zu entdecken. Und er zögert nicht, es seinem Diener zu offenbaren, wenn er demütig und beständig darum bittet. Am Anfang handelt es sich um eine fast unmerkliche Bewegung des Herzens: ein kleines Licht, das sich im Geist entzündet, ein Wort der Bibel, das die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen beginnt und eine Situation erhellt.

Wirklich „das kleinste aller Samenkörner“, aber dann bemerkst du, dass in ihm alles enthalten war: es war ein Donner in ihm, der die Zedern des Libanons niederbrechen ließ. Dann setzt du dich an den Tisch, öffnest deine Bücher, schaust in deine Aufzeichnungen, schlägst in den Kirchenvätern, den Meistern, Dichtern… nach. Aber nun ist alles ganz anders. Nicht mehr das Wort Gottes steht im Dienst deiner Kultur, sondern deine Kultur steht im Dienst des Wortes Gottes.

Origenes beschreibt gut den Prozess, der zur dieser Entdeckung führt. Bevor in der Schrift die Nahrung zu finden ist – sagte er –, ist es notwendig, eine gewisse „Armut der Sinne“ zu ertragen; die Seele ist von allen Seiten von Finsternis umgeben, sie gerät in Sackgassen. Bis nicht plötzlich nach mühsamer Forschung und Gebet die Stimme des Wortes erklingt: sofort erhellt es etwas. Der, der es suchte, läuft ihm entgegen „und springt dabei über die Berge und hüpft über die Hügel“ (vgl. Hld 2,8), das heißt: er öffnet den Geist, um ein starkes und helles Licht zu empfangen (vgl. Origenes, In Mt Ser. 38 [GCS, 1933, S. 7]; In Cant. 3 [GCS, 1925, S. 202]). Groß ist die Freude, die diesen Moment begleitet. Sie ließ Jeremia ausrufen: „Kamen Worte von dir, so verschlang ich sie; dein Wort war mir Glück und Herzensfreude“ (Jer 15,16).

Gewöhnlich kommt die Antwort Gottes in Gestalt eines Schriftwortes, das aber in jenem Augenblick seine außerordentliche Angemessenheit an die Situation und an das Problem offenbart, das zu behandeln ist, als wäre es gerade dazu geschrieben worden. Manchmal ist es nicht einmal notwendig, ausdrücklich ein derartiges Bibelwort zu zitieren oder zu kommentieren. Es genügt, dass derjenige der, spricht, es vor sich hat und es sein ganzes Sprechen „in-formiert“. Auf diese Weise spricht er tatsächlich „mit den Worten Gottes“. Diese Methode gilt immer: für die großen Dokumente des Lehramtes wie für die Lektion, die der Magister seinen Novizen erteilt, für den gelehrten Vortrag wie für eine einfache Sonntagspredigt.

Wir alle haben die Erfahrung gemacht, wie viel ein einziges Wort Gottes, an das zuerst zutiefst geglaubt und das zutiefst gelebt wird, durch den bewirken kann, der es ausspricht, manchmal auch, ohne dass er es weiß; oft ist festzustellen, dass es unter den vielen anderen Worten gerade dieses gewesen ist, das das Herz berührt und mehr als einen Zuhörer zum Beichtstuhl geführt hat.

Nachdem der Apostel auf die Bedingungen der christlichen Verkündigung (von Christus sprechen, aufrichtig, als sei man von Gott bewegt und als stünde man unter seinem Blick), fragte sich Paulus: „Wer aber ist dazu fähig?” (2 Kor 2,16). Niemand, das ist klart, ist dazu fähig. Wir tragen diesen Schatz in Tongefäßen. Wir können jedoch beten und sagen: Herr, erbarme dich dieses armen Tongefäßes, das den Schatz deines Wortes tragen muss. Bewahre uns davor, unnütze Worte über dich zu sagen. Lass uns einmal den Geschmack deines Wortes erfahren, damit wir es von jedem anderen zu unterscheiden wissen und damit jedes andere Wort uns ohne Geschmack erscheine. Verbreite, wie du es versprochen hast, den Hunger im Land, „nicht den Hunger nach Brot, nicht Durst nach Wasser, sondern nach einem Wort des Herrn“ (Am 8,11).