,,Babylonische Sprachenverwirrung" Filter.
 

Der in München lehrende Philosoph und Wissenschoftstheoretiker Wolfgang Stegmüller zeichnet in der Einleitung seines Buches “Houptströmungen der Gegenwartsphilosophie" ein düsteres Bild von der fortschrei­tenden Unfähigkeit zeitgenössischer Philosophen, miteinander reden und einander verstehen zu können. Der sprachenverwirrende Geist von Babylon scheint im Kreis dieser Denker lebendiger zu sein als der Verständigung schaffende Pfingstgeist.

Stegmüller spricht in dem zitierten Text zunächst von der zunehmenden Verfeinerung und Spezialisierung in den einzelnen philosophischen Disziplinen. Dann fährt er fort:

Parallel mit dieser Differenzierung verläuft als zweites Charakteristikum ein Prozeß der gegenseitigen Entfer­nung und zunehmenden Kommuni­kotionslosigkeit zwischen den Philoso­phen verschiedener Richtungen. Es ist unbedingt erforderlich, sich diesen Sachverhalt klar vor Augen zu holten...

In diesem Prozeß des wechselseitigen Sichentfernens kann man vier Phasen unterscheiden:

1. In der ersten Phase handelt es sich um eine wissenschaftliche Meinungs­verschiedenheit. Die vertretenen Ansichten weichen voneinander ab, weil die einzelnen Diskussionspartner die Gültigkeit der gegnerischen Argumente oder die Richtigkeit der gegnerischen Beschreibungen anzweifeln. Bei aller Verschiedenheit bleibt in dieser Phase der Diskussionszusammenhang erhalten…

2. Schlimmer wird es, wenn die gewählte Ausgangsbasis oder die anerkannten Denkmethoden toto genere verschieden geworden sind. Dann kann ein Punkt erreicht werden, wo keine Diskussion mehr möglich ist. Die Vertreter gegnerischer Auffassungen können höchstens zu der ehrlichen Feststellung gelangen, daß Argumente und Gegenargumente ins Leere zu stoßen scheinen und daß sie ihre unterschiedlichen Auffassungen nicht mehr auf einen Nenner zu bringen vermögen. Trotz dieser unvermeidlichen Resignation in bezug auf die Frage der wissenschaftlichen Auseinandersetzung oder Diskussion bleibt auch auf dieser Stufe ein Mifteilungszusammenhang gewahrt.

(...)

3. Eine nochmalige Verschärfung der Situation trift ein, wenn zwischen zwei Philosophen nicht einmal mehr ein Mitteilungszusammenhang besteht, weil der eine keinen Sinn mit dem zu verbinden vermag, was der andere sagt. Trotzdem kann selbst da ein wenn auch noch so loses Band zwischen den Denkern bestehen bleiben, welches man Intentions­zusammenhang nennen könnte. Der eine weiß dann vom anderen zwar nicht mehr, was dieser eigentlich meint, aber er weiß von ihm wenigstens soviel, daß auch er noch Erkenntnis und Wahrheit strebt.

4. Am größten ist die Kluft zwischen zwei Philosophierenden dann, wenn zwischen ihnen nicht einmal mehr ein Intentionszusammenhang besteht. Dem einen sind dann nicht nur die Aussagen und Begründungen des anderen unverständlich, sondern die Art der Beschäftigung des anderen wird ihm als Beschäftigung zum Rätsel. Er weiß nicht nur nicht mehr, was der andere meint, sondern er vermag nicht einmal mehr zu sagen, was das für eine Tätigkeit ist, die der andere ausübt und der er den Namen “Philosophie" gibt. Der Zustand der totalen Kommunikotionslosigkeit ist hier erreicht...

Es mag vielleicht pessimistisch klingen, dürfte aber doch eine zutreffende Feststellung sein, daß dieser Prozeß nicht mehr rückgängig zu machen ist.

aus: Wolfgang Stegmüller, Hauptströmungen der Gegenwarfsphilosophie, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1965, S. XLI ff.

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