Die zwei unwürdigen Gefährten


Die beiden Schächer,
die mit Jesus zusammen gekreuzigt worden sind,
haben die Phantasie der Christen
immer schon beschäftigt.
Von
Hans Förster

 

 

 
 

In den biblischen Berichten über die Kreuzigung Jesu werden die beiden Verbrecher, die zusammen mit ihm hingerichtet wurden, nur sehr kurz erwähnt. Äußerst knapp ist der Bericht des Johannesevangeliums (Joh 19,16-18): "Sie nahmen ihn aber und er trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf hebräisch Golgatha. Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte." Das älteste Evangelium, nämlich das des Markus, ist kaum ausführlicher (Mk 15,27): "Und sie kreuzigten mit ihm zwei Räuber, einen zu seiner rechten und einen zu seiner Linken."

Der entsprechende Vers im Matthäusevangelium entspricht inhaltlich dem Markusevangelium, nur das Lukasevangelium bietet einen ausführlichen Bericht, der die Legendenbildung befruchtet hat. Dort steht (Lk 23,3942): "Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns! Da wies ihn der andere zurecht und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsere Taten verdienen; dieser hat nichts Unrechtes getan. Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein."

In der Frömmigkeitsgeschichte hat die Erzählung des Lukasevangeliums eine besondere Wirkung entfaltet. Bereits einige der altlateinischen Übersetzungen des Neuen Testamentes fügen die Namen der Schächer in die Erzählung ein – die vom mittelhochdeutschen Wort scháchære ("Räuber", "Mörder") abgeleitete Bezeichnung "Schächer" ist heute nur noch für die mit Jesus gekreuzigten Verbrecher in Verwendung. So handelt es sich nach diesen altlateinischen Übersetzungen um zwei Männer mit den Namen Zoatham und Camma, Zoathan und Chammatha bzw. Joathas und Maggatras. Diese eher abstrusen Namen haben in der Legendenbildung jedoch keine nachhaltige Wirkung gezeigt.

Die Vorgeschichte

Ein legendarischer Bericht in arabischer Sprache, das so genannte "arabische Kindheitsevangelium", das wohl auf eine syrische Grundschrift des vierten oder fünften Jahrhunderts zurückgeht, erzählt von der Flucht der heiligen Familie nach Ägypten zu der Zeit, als Herodes plante, alle kleinen Kinder in Bethlehem töten zu lassen. Maria, Josef und Jesus werden im 23. Kapitel dieser Erzählung in einer einsamen Gegend von zwei Mitgliedern einer Räuberbande überfallen. Die beiden Übeltäter tragen in der Erzählung die Namen Titus und Dumachus. Titus tritt für die Überfallenen ein und macht Dumachus einen Vorschlag: "Nimm von mir vierzig Drachmen und behalte sie als Pfand." Die Belohnung dieser edlen Tat ist eine Weissagung aus dem Mund Jesu: "In dreißig Jahren . . . werden mich die Juden in Jerusalem kreuzigen, und jene zwei Räuber werden mit mir ans Kreuz geschlagen werden, Titus zu meiner rechten, Dumachus zu meiner Linken, und nach jenem Tag wird Titus mir ins Paradies vorangehen."

In dieser Erzählung wird die Aussage Jesu in jene Prophezeiung verwandelt, mit der er nach dem Bericht des Lukasevangeliums dem reuigen Schächer die Einkehr in das Paradies verheißt. Und diese Verheißung hat auf vielfältige Weise Frömmigkeit und Kunst beeinflusst.

Die wichtigste literarische Erweiterung dieser Erzählung sind die sogenannten Pilatusakten. Bereits um die Mitte des zweiten Jahrhunderts beruft sich ein Christ namens Justin auf eine Niederschrift des Prozesses gegen Jesus unter dem römischen Statthalter Pontius Pilatus. Man kann einwenden, dass sich jener Justin auch auf Zensusakten unter Quirinius beruft, die bei der Volkszählung zur Zeit der Geburt Jesu angefertigt worden seien. Diese aber hat es sicher nicht gegeben. Hieraus könnte man folgern, dass es auch die Prozessakten des Pilatus nicht gegeben hat. Allerdings findet sich bei einem rund 50 Jahre später wirkenden Kirchenmann wiederum eine Erwähnung eines mit Pilatus verbundenen Textes. Sie ist so konkret, dass dem irgendetwas schriftlich vorgelegen haben muss, was mit dieser Person im Zusammenhang stand.

Die Schrift des Ananias

Tatsächlich sicheren Boden unter den Füßen erhält man erst Ende des vierten Jahrhunderts. Eine von Epiphanius von Salamis (dem heutigen Famagusta) auf der Insel Zypern kritisierte religiöse Vereinigung verwendet die Pilatusakten, um ihren Ostertermin zu rechtfertigen. Diese sogenannten Quartadezimaner – der Name leitet sich von dem lateinischen Begriff für die Zahl "vierzehn" ab – feierten das Osterfest an einem fixen Datum und beriefen sich hierbei darauf, dass Jesus an einem 14. Nisan gekreuzigt worden sei. Und was wäre für den Nachweis dieses Datums besser geeignet als die Akten des Prozesses, der Jesus unter Pilatus gemacht wurde? In der Einleitung der Pilatusakten heißt es, dass Ananias, ein Leibgardist im Offiziersrang, die Prozessakten Jesu durchforscht habe und sie aus dem Hebräischen ins Griechische übersetzt habe. Als Datum der Kreuzigung steht angeblich in diesem Text: "Im 19. Regierungsjahr des römischen Kaisers Tiberius, als Herodes König von Galiläa war, im 19. Jahr seiner Herrschaft, am 8. Tage vor den Kalenden des April oder am 25. März . . ."

In diesen Prozessakten findet sich auch der Bericht über die bereits erwähnte Szene mit den beiden Schächern, die mit Jesus gekreuzigt worden waren. In der Urteilsverkündung finden sich in dem ursprünglich auf Griechisch verfassten Bericht die Namen der beiden.

Der Dialog am Kreuz

Pilatus entscheidet: "Und Dysmas und Gestas, die beiden Missetäter, sollen mit dir gekreuzigt werden." Der Bericht über den Dialog am Kreuz ist gegenüber der Erzählung des Lukasevangeliums leicht erweitert: "Einer von den gekreuzigten Missetätern aber sprach zu ihm: Wenn du der Messias bist, dann rette dich und uns! Da griff Dysmas ein und schalt ihn: Fürchtest du denn Gott gar nicht, da das gleiche Urteil dich trifft? Und zwar uns mit Recht. Denn wir empfangen die gerechte Vergeltung für unsere Taten. Dieser aber hat nichts Böses getan. Und er wandte sich an Jesus: Herr, gedenke mein in deinem Reiche! Da sprach Jesus zu ihm: Wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein!"

Personen, die einen Namen tragen, sind für die Gläubigen natürlich viel leichter zu greifen als namenlose. Der reuige Schächer namens Dysmas ist eine besondere Gestalt. Einerseits wurde er nie getauft, ist also in diesem Sinne nicht der Kirche zuzurechnen. Andererseits verheißt ihm Jesus am Kreuz die Aufnahme ins Paradies. Gerade deswegen muss dieser reuige Sünder unter die Heiligen gezählt werden, die ihr Leben gottgefällig vollendet haben – obwohl er sich diese Heiligkeit erst durch eine reuige Bemerkung am Kreuz erwirbt.

In dieser Spannung zwischen dem Leben des hingerichteten Verbrechers und der Verheißung Jesu am Kreuz sind später Texte wie das bereits erwähnte arabische Kindheitsevangelium entstanden, die in volksfrommer Weise zu erklären suchen, dass dieser Verbrecher ja eigentlich schon immer ein gutes Herz gehabt habe. Sonst wäre er ja auch ein eher schlechtes Vorbild für den Kirchenbesucher, der sich redlich um ein gutes Leben bemüht und nun feststellen muss, dass das richtige Wort zum rechten Zeitpunkt eigentlich alles vorherige Nichtbemühen – um das Verhalten des gekreuzigten Schächers vorsichtig zu beschreiben – aufzuheben vermag.

Immerhin bekennt dieser ja selbst, dass er den gerechten Lohn für sein Verhalten am Kreuz empfangen würde. Die volksfromme Erklärung vermutet hier einen "guten Kern", der sich schon in den Kindertagen Jesu erwiesen hätte. Schließlich muss der reuige Schächer ja doch zu denen gerechnet werden, an die Jesu Verheißung ergangen ist.

Und so nimmt die Tatsache, dass er kirchliche Verehrung empfangen hat, nicht wunder: Ostkirchlich ist als Festtag des reuigen Schächers der 23. März überliefert. Und gerade dort hat die Person dieses Schächers auch in der darstellenden Kunst eine prägende Rolle gespielt. Aus frühchristlicher Zeit existieren nur Darstellungen der Kreuzigung, in denen er an seiner Blickrichtung klar erkennbar ist: Dysmas wendet sich Christus zu, während Gestas sich von diesem abwendet. In mittelalterlichen Darstellungen wird er teilweise zusammen mit der alttestamentlichen Figur des Henoch dargestellt, von dem es in der Genesis heißt (1 Mose 5,25): "Und weil er mit Gott wandelte, nahm in Gott hinweg und er ward nicht mehr gesehen."

Östliche Überlieferung

Als sicher darf gelten, dass dieser Bericht der Pilatusakten im Osten entstand. Einerseits hat sich von dort aus der Name des Schächers auch im lateinischen Westen durchgesetzt, während andererseits die altlateinischen Übersetzungen des Neuen Testaments noch andere Namen der beiden Schächer überliefern. Zur Zeit der Entstehung dieser Übersetzungen kann also der Bericht der Pilatusakten im Westen noch nicht bekannt gewesen sein. Die Vielzahl der Übersetzungen dieser Akten – neben dem griechischen Text, deren älteste erhaltene Fassung wohl aus dem Jahr 425 stammt, sind auch koptische, syrische, armenische und altslavische Übersetzungen bekannt – zeigt, wie beliebt das Thema offensichtlich war, wie sehr man in diesen Legenden das fortsetzte und erweiterte, was im Bericht der Evangelien nur kurz und knapp angeschnitten wird.

Besonders interessant erscheint in diesem Zusammenhang ein bisher unveröffentlichtes Pergamentfragment, auf dem die Namen der beiden Schächer vertauscht sind. Gerade die Verankerung des Dysmas in der Frömmigkeit bis hin zu einem Gedenktag macht es wahrscheinlich, dass ein Text, der die Namen der beiden vertauscht, auf eine alte Überlieferung zurückgeht, die aus einer Zeit stammt, in der dieser Feiertag noch nicht bekannt war.

Noch eine weitere kurze Passage, die in den Zusammenhang des Leidens Christi gehört, hat eine Ausgestaltung erfahren: Im 1. Petrusbrief, der zu den Texten des Neuen Testaments gehört, heißt es (1 Petrus 3,18-19): "Denn auch Christus hat einmal für die Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, damit er euch zu Gott führte, und ist getötet nach dem Fleisch, aber lebendig gemacht nach dem Geist. In ihm ist er auch hingegangen und hat gepredigt den Geistern im Gefängnis."

Ein Bericht von diesem Abstieg Christi in die Unterwelt, lateinisch meist als Descensus ad inferos bezeichnet, wurde nachträglich an die Pilatusakten angehängt. Auch liefert der biblische Bericht vom Tod Jesu Anhaltspunkte dafür, dass Augenzeugen der Ereignisse existieren müssen. So heißt es im Matthäusevangelium, dass nach dem Tod Jesu Zeichen geschehen seien (Mt 27,52-53): "Und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen, und die Gräber taten sich auf, und viele Leiber der entschlafenen Heiligen standen auf und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen."

Dieser biblische Bericht gibt dem unbekannten Verfasser der Erzählung vom Abstieg Jesu in die Unterwelt die Möglichkeit, Personen zu nennen, die zum Zeitpunkt des Todes Jesu bereits verstorben waren und nun von diesen Ereignissen erzählen können. Er wählt als Gewährsmänner die Söhne des Symeon, der ja aus dem Neuen Testament (Lk 2,25ff) bekannt ist. Man habe sie erst kürzlich beerdigt, sie seien nun auferstanden und hätten ihre Erlebnisse schriftlich niedergelegt, nachdem man ihnen Schreibmaterial gebracht habe. Nach diesem Bericht der Söhne des Symeon habe dort bereits Johannes der Täufer den verstorbenen Propheten und Patriarchen eine Predigt gehalten. Unter seinen Zuhörern habe sich auch Abraham befunden. Auch hier tritt Johannes als der Vorläufer Jesu auf, der nur das Wirken Jesu in der Unterwelt vorbereitet. Jesus selbst führt die verstorbenen Gerechten, vor allem die großen Gestalten des Alten Testaments, aus der Unterwelt ins Paradies.

Erstaunlich und bemerkenswert, wie sehr die blühende Phantasie hier ausschmückt, was die biblischen Texte verschweigen. Dass die Unterwelt dabei als "Hades" bezeichnet wird, zeigt, wie sehr zeitgenössische Bezeichnungen für das Jenseits in diesen Texten verwendet werden. Von Seiten der Kirche wurden diese Texte mit Recht abgelehnt, dennoch sind sie spannende Zeugnisse der Volksfrömmigkeit des vierten und fünften Jahrhunderts.

Hans Förster lebt als Kirchenhistoriker in Wien und bearbeitet im Rahmen eines umfangreichen Forschungsprojektes des Wissenschaftsfonds (FWF) koptische Texte. Er bereitet unter anderem auch ein Fragment der koptischen Version der Pilatusakten für die Veröffentlichung vor.