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Eine 'Kirche von Heiden, die sich noch Christen nennen', eine Profezeiung aus dem Jahre 1958

 

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Joseph Ratzinger 1958Die notwendige Entweltlichung der Kirche im alten Europa stellt auch die Frage, was mit den neuen Heiden geschieht. Hat Gott für sie einen anderen Heilsweg vorgesehen?

Nach der Religionsstatistik ist das alte Europa noch immer ein fast vollständig christlicher Erdteil. Aber es gibt wohl kaum einen zweiten Fall, in dem jedermann so genau wie hier weiß, dass die Statistik täuscht: Dieses dem Namen nach christliche Europa ist seit rund vierhundert Jahren zur Geburtsstätte eines neuen Heidentums geworden, das im Herzen der Kirche selbst unaufhaltsam wächst und sie von innen her auszuhöhlen droht. Das Erscheinungsbild der Kirche der Neuzeit ist wesentlich davon bestimmt, dass sie auf eine ganz neue Weise Kirche der Heiden geworden ist und noch immer mehr wird: nicht wie einst, Kirche aus den Heiden, die zu Christen geworden sind, sondern Kirche von Heiden, die sich noch Christen nennen, aber in Wahrheit zu Heiden wurden. Das Heidentum sitzt heute in der Kirche selbst, und gerade das ist das Kennzeichnende sowohl der Kirche unserer Tage wie auch des neuen Heidentums, dass es sich um ein Heidentum in der Kirche handelt und um eine Kirche, in deren Herzen das Heidentum lebt. Der Mensch von heute kann also als Normalfall den Unglauben seines Nachbarn voraussetzen.

Als die Kirche entstand, ruhte sie auf der geistigen Entscheidung des Einzelnen zum Glauben, auf dem Akt der Bekehrung. Wenn man anfangs erhofft hatte, dass sich eine Gemeinschaft von Heiligen schon hier auf der Erde aus diesen Bekehrten erbauen werde, eine „Kirche ohne Fehl und Runzel“, so musste man sich unter schweren Kämpfen immer mehr zu der Erkenntnis durchringen, dass auch der Bekehrte, der Christ, ein Sünder bleibt und dass selbst die schwersten Vergehen in der christlichen Gemeinschaft möglich sein werden. Aber wenn der Christ demnach auch kein moralisch Vollendeter war und in diesem Sinn die Gemeinschaft der Heiligen immer unfertig blieb, gab es doch eine Grundgemeinsamkeit. Kirche war eine Gemeinschaft von Überzeugten, von Menschen, die eine bestimmte geistige Entscheidung auf sich genommen hatten und sich dadurch von all denen abhoben, die sich dieser Entscheidung verweigerten. Im Mittelalter bereits änderte sich dies dadurch, dass Kirche und Welt identisch wurden und so Christsein im Grunde keine eigene Entscheidung mehr war, sondern eine politisch-kulturelle Vorgegebenheit.

Drei Ebenen der Entweltlichung

Heute ist die äußere Deckung von Kirche und Welt geblieben; die Überzeugung jedoch, dass sich darin – in der ungewollten Zugehörigkeit zur Kirche – eine besondere göttliche Huld, eine jenseitige Heilswirklichkeit verbirgt, ist gefallen. Fast niemand glaubt so recht, dass an dieser sehr zufällig kulturpolitischen Vorgegebenheit „Kirche“ etwa das ewige Heil hängen kann. So ist es verständlich, dass heute vielfach sehr eindringlich die Frage gestellt wird, ob man nicht die Kirche wieder in eine Überzeugungsgemeinschaft verwandeln sollte, um ihr so ihren großen Ernst wieder zu geben. Das würde bedeuten, dass man auf die noch vorhandenen weltlichen Positionen rigoros verzichtet, um einen Scheinbesitz abzubauen, der sich mehr und mehr als gefährlich erweist, weil er der Wahrheit im Wege steht.

Es wird der Kirche auf die Dauer nicht erspart bleiben, Stück um Stück von dem Schein ihrer Deckung mit der Welt abbauen zu müssen und wieder das zu werden, was sie ist: Gemeinschaft der Glaubenden. Tatsächlich wird ihre missionarische Kraft durch solche äußere Verluste nur wachsen können: Nur wenn sie aufhört, eine billige Selbstverständlichkeit zu sein, nur wenn sie anfängt, sich selber wieder als das darzustellen, was sie ist, wird sie das Ohr der neuen Heiden mit ihrer Botschaft wieder zu erreichen vermögen, die sich bisher noch in der Illusion gefallen können, als wären sie gar keine Heiden.

Freilich wird ein solches Zurücknehmen äußerer Positionen auch einen Verlust von wertvollen Vorteilen bringen, die sich aus der heutigen Verflechtung der Kirche mit der Öffentlichkeit zweifellos ergeben. Es handelt sich dabei um einen Prozess, der mit oder ohne Zutun der Kirche vor sich gehen wird, auf den sie sich also einstellen muss. Alles in allem muss man bei diesem notwendigen Vorgang der Entweltlichung der Kirche drei Ebenen genau auseinander halten: die Ebene des Sakramentalen, die der Glaubensverkündigung und die des persönlich-menschlichen Verhältnisses zwischen Gläubigen und Ungläubigen.

Die Ebene des Sakramentalen, einst von der Arkan-Disziplin umgrenzt, ist die eigentliche innere Wesensebene der Kirche. Es muss wieder klar werden, dass Sakramente ohne Glauben sinnlos sind, und die Kirche wird hier allmählich und in aller Behutsamkeit auf einen Aktionsradius verzichten müssen, der letztlich eine Selbsttäuschung und eine Täuschung der Menschen einschließt.

Je mehr die Kirche hier die Selbstabgrenzung, die Unterscheidung des Christlichen, wenn nötig zur kleinen Herde hin, vollziehen wird, desto realistischer wird sie auf der zweiten Ebene, auf der der Glaubensverkündung, ihre Aufgabe erkennen können und müssen. Wenn das Sakrament die Stelle ist, wo die Kirche sich gegen die Nichtkirche abschließt und abschließen muss, dann ist das Wort die Art und Weise, mit der sie die offene Geste der Einladung zum Gottesmahl weiterführt.

Auf der Ebene der persönlichen Beziehungen schließlich wäre es ganz verkehrt, aus der Selbstbegrenzung der Kirche, die für den sakramentalen Bereich gefordert wurde, eine Abkapselung des gläubigen Christen gegenüber seinen nichtgläubigen Mitmenschen ableiten zu wollen. Natürlich soll unter den Gläubigen selber allmählich wieder etwas wie die Brüderlichkeit der Kommunikanten aufgebaut werden, die sich durch ihre gemeinsame Zugehörigkeit zum Gottestisch auch im privaten Leben miteinander verbunden fühlen und wissen, dass sie in Notsituationen aufeinander zählen können, eben wirklich eine Familiengemeinschaft sind. Aber das darf keine sektiererische Abschließung zur Folge haben, sondern der Christ soll gerade auch ein fröhlicher Mensch unter Menschen sein können, ein Mitmensch, wo er nicht Mitchrist sein kann.

Zusammenfassend können wir als Ergebnis dieses ersten Gedankenkreises festhalten: Die Kirche hat zunächst den Strukturwandel von der kleinen Herde zur Weltkirche durchgemacht; sie deckt sich seit dem Mittelalter im Abendland mit der Welt. Heute ist diese Deckung nur noch Schein, der das wahre Wesen der Kirche und der Welt verdeckt und die Kirche zum Teil an ihrer notwendigen missionarischen Aktivität hindert. So wird sich über kurz oder lang mit dem oder gegen den Willen der Kirche nach dem inneren Strukturwandel auch ein äußerer, zum pusillus grex, zur kleinen Herde vollziehen.

Ein zweiter Heilsweg?

Neben der damit skizzierten Strukturänderung der Kirche ist aber auch eine Bewusstseinsverschiebung beim Gläubigen zu bemerken, die sich aus dem Faktum des innerkirchlichen Heidentums ergeben hat. Dem Christen von heute ist es unausdenkbar geworden, dass das Christentum, genauerhin die katholische Kirche, der einzige Heilsweg sein soll; damit ist die Absolutheit der Kirche und damit auch der strenge Ernst ihres missionarischen Anspruchs, ja aller ihrer Forderungen von innen her fragwürdig geworden. Wir können nicht glauben, dass der Mensch neben uns, der ein prächtiger, hilfsbereiter und gütiger Mensch ist, in die Hölle wandern wird, weil er kein praktizierender Katholik ist. Die Vorstellung, dass alle „guten“ Menschen gerettet werden, ist heute für den normalen Christen ebenso selbstverständlich wie früher die Überzeugung vom Gegenteil.

Der Gläubige fragt sich ein wenig verwirrt: Warum können die draußen es so einfach haben, wenn es uns so schwer gemacht wird? Er kommt dahin, den Glauben als eine Last und nicht als Gnade zu empfinden. Auf jeden Fall bleibt ihm der Eindruck zurück, dass es letztlich zwei Heilswege gibt: den durch die bloße und sehr subjektiv zugemessene Moralität für die außerhalb der Kirche Stehenden und den kirchlichen. Er kann nicht das Empfinden haben, als hätte er den angenehmeren erwischt; auf jeden Fall ist seine Gläubigkeit durch die Aufrichtung eines Heilsweges neben der Kirche empfindlich belastet. Dass die missionarische Stoßkraft der Kirche unter dieser inneren Unsicherheit aufs empfindlichste leidet, ist klar.

Die Wenigen und die Vielen

Ich versuche als Antwort auf diese den Christen von heute wohl am meisten belastende Frage in ganz kurzen Andeutungen zu zeigen, dass es nur einen Heilsweg gibt, nämlich den über Christus. Ihm eignet aber von vornherein ein doppelter Radius: er betrifft „die Welt“, „die vielen“ (das heißt alle) ; gleichzeitig aber wird gesagt, sein Ort sei die Kirche. So gehört zu diesem Weg vom Wesen her ein Zueinander von „wenigen“ und „vielen“, das als ein Füreinander Teil der Form ist, in der Gott rettet – nicht Ausdruck für das Misslingen göttlichen Wollens. Das fängt schon damit an, dass Gott das Volk Israel aus allen Völkern der Welt ausgrenzt als das Volk seiner Erwählung. Soll das etwa heißen, dass nur Israel erwählt ist und dass alle anderen Völker zum Abfall geworfen werden?

Am Anfang sieht es in der Tat so aus, als ob diese Nebeneinanderstellung von erwähltem Volk und nicht-erwählten Völkern in diesem statischen Sinn zu denken wäre: als ein Nebeneinander zweier verschiedener Gruppen. Aber sehr bald zeigt sich, dass es nicht so ist; denn in Christus wird das statische Nebeneinander von Juden und Heiden dynamisch, so dass nun gerade auch die Heiden durch ihre Nicht-Erwähltheit hindurch zu Erwählten werden, ohne dass dadurch die Erwählung Israels endgültig illusorisch würde, wie das 11. Kapitel vom Brief des Apostels Paulus an die Römer zeigt. So sieht man, dass Gott Menschen auf zweierlei Art erwählen kann: direkt oder durch ihre scheinbare Verwerfung hindurch. Deutlicher gesagt: Man stellt fest, dass Gott zwar die Menschheit in die „Wenigen“ und die „Vielen“ einteilt, eine Unterteilung, die in der Schrift immer wiederkehrt. Jesus gibt sein Leben als Lösegeld für „die vielen“ (Mk. 10,45) ; das Gegenüber von Juden und Heiden und Kirche und Nicht-Kirche wiederholt diese Teilung in die Wenigen und die Vielen.

Aber Gott teilt die Menschheit nicht deshalb in die Wenigen und die Vielen, um diese in die Abfallgrube zu werfen und jene zu retten; auch nicht, um die Vielen leicht und die Wenigen umständlich zu retten, sondern er benutzt die Wenigen gleichsam als den archimedischen Punkt, von wo aus er die Vielen aus den Angeln hebt, als den Hebel, mit dem er sie zu sich zieht. Beide haben ihre Stelle im Heilsweg, die verschieden ist, ohne die Einheit des Weges aufzuheben. Man kann dieses Gegenüber erst dann richtig verstehen, wenn man sieht, dass ihm das Gegenüber von Christus und Menschheit, von dem Einen und den vielen zu Grunde liegt. Das Heil des Menschen besteht ja darin, dass er von Gott geliebt wird, dass sein Leben sich am Ende in den Armen der unendlichen Liebe findet. Ohne sie bliebe ihm alles andere leer. Eine Ewigkeit ohne Liebe ist die Hölle, auch wenn einem sonst nichts geschieht. Das Heil des Menschen besteht im Geliebtwerden von Gott. Aber auf Liebe gibt es keinen Rechtsanspruch, auch nicht aufgrund moralischer oder sonstiger Vorzüge. Liebe ist wesentlich ein freier Akt, oder sie ist nicht sie selbst.

So bleibt es also dabei: in dem Gegenüber zwischen Christus, dem Einen, und uns, den Vielen, sind wir des Heiles unwürdig, ob Christen oder Nicht-Christen, Gläubige oder Ungläubige, moralisch oder unmoralisch; keiner „verdient“ das Heil wirklich außer Christus. Aber eben hier geschieht der wunderbare Tausch. Den Menschen allen zusammen gehört die Verwerfung, Christus allein das Heil – im heiligen Tausch geschieht das Gegenteil: Er allein nimmt das ganze Unheil auf sich und macht so den Heilsplatz für uns alle frei.

Der wunderbare Tausch

Alles Heil, das es für den Menschen geben kann, berührt auf diesem Urtausch zwischen Christus, dem einen, und uns, den vielen, und es ist die Demut des Glaubens, dies zuzugeben. Damit könnte die Sache eigentlich ihr Bewenden haben, aber überraschenderweise tritt nun noch dies hinzu, dass sich nach Gottes Willen dieses große Geheimnis der Stellvertretung, von dem die ganze Geschichte lebt, fortsetzt in einer ganzen Fülle von Stellvertretungen und ihre Krönung und Vereinigung in dem Zueinander von Kirche und Nicht-Kirche, von Gläubigen und „Heiden“ hat.

Der Gegensatz von Kirche und Nicht-Kirche bedeutet nicht ein Nebeneinander und nicht ein Gegeneinander, sondern ein Füreinander, in dem jede Seite ihre Funktion besitzt. Den Wenigen, welche die Kirche sind, ist in der Fortführung der Sendung Christi die Vertretung der Vielen aufgetragen, und die Rettung beider geschieht nur in ihrer Zuordnung zueinander und in ihrer gemeinsamen Unterordnung unter die große Stellvertretung Jesu Christi, die sie beide umspannt. Wenn aber die Menschheit in dieser Vertretung durch Christus und in ihrer Fortführung durch die Dialektik von „Wenigen“ und „Vielen“ gerettet wird, so heißt das auch, dass jeder Mensch, dass vor allem die Gläubigen ihre unausweichliche Funktion im Gesamtprozess der Rettung der Menschheit haben. Keiner hat das Recht zu sagen: Siehe, es werden andere gerettet ohne den vollen Ernst des katholischen Glaubens, warum nicht auch ich? Woher weißt du denn, dass der volle katholische Glaube nicht gerade deine sehr notwendige Sendung ist, die Gott dir auferlegt hat aus Gründen, die du nicht markten sollst, weil sie zu den Dingen gehören, von denen Jesus sagt: Du kannst sie jetzt noch nicht verstehen, sondern erst später (vgl. Joh 13,36).

So gilt im Blick auf die modernen Heiden, dass der Christ ihr Heil in Gottes Gnade geborgen wissen darf, von der ja auch sein Heil abhängt, dass er sich aber im Blick auf ihre mögliche Rettung nicht von dem Ernst seines eigenen gläubigen Daseins dispensieren kann, sondern dass gerade ihr Unglaube ihm verstärkter Ansporn zu gefüllterem Glauben sein muss, in dem er sich mit in die Stellvertretungsfunktion Jesu Christi einbezogen weiß, an der das Heil der Welt und nicht bloß das der Christen hängt.

Gott allein rechtfertigt

Ich möchte zum Abschluss diese Gedanken noch etwas verdeutlichen durch eine kurze Auslegung zweier Texte der Schrift, in denen eine Stellungnahme zu diesem Problem erkennbar wird.

Da ist zuerst der schwierige und lastende Text, in dem der Gegensatz von Vielen und Wenigen besonders eindringlich ausgesprochen wird: „Viele sind berufen, Wenige aber auserwählt“ (Mt 22,14). Was besagt dieser Text? Er sagt doch nicht, dass viele verworfen werden, wie man gemeinhin aus ihm heraus hört, sondern zunächst nur, dass es zwei verschiedene Formen des göttlichen Erwählens gibt. Noch genauer: Er sagt deutlich, dass es zwei verschiedene göttliche Akte gibt, die beide auf die Erwählung zielen, ohne uns schon Klarheit zu geben, ob beide auch ihr Ziel erreichen. Wenn man aber den Gang der Heilsgeschichte betrachtet, wie ihn das Neue Testament auslegt, so findet man dieses Herrenwort illustriert: Aus dem statischen Nebeneinander von auserwähltem Volk und nicht erwählten Völkern wurde in Christus ein dynamisches Verhältnis, so dass die Heiden gerade durch die Nichterwähltheit hindurch zu Erwählten wurden und dann freilich durch die Erwählung der Heiden hindurch auch die Juden in ihre Erwählung zurückkehren. So kann uns dieses Wort zu einer wichtigen Lehre werden.

Die Frage nach dem Heil der Menschen ist immer dann falsch gestellt, wenn sie von unten her gestellt wird, als Frage, wie die Menschen sich rechtfertigen. Die Frage des Heils der Menschen ist keine Frage der Selbstrechtfertigung, sondern eine der Rechtfertigung durch Gottes freie Huld. Es geht darum, die Dinge von oben zu sehen. Es gibt nicht zwei Weisen, wie Menschen sich rechtfertigen, sondern zwei Weisen, wie Gott sie erwählt, und diese zwei Weisen der Erwählung durch Gott sind der eine Heilsweg Gottes in Christus und seiner Kirche, der auf dem Zueinander der Wenigen und Vielen und auf dem Stellvertretungsdienst der Wenigen in der Verlängerung von Christi Stellvertretung ruht.

Der zweite Text ist der vom großen Gastmahl (Lk 14,16-24 par). Dieses Evangelium ist zunächst in sehr radikalem Sinne Frohbotschaft, wenn es erzählt, dass am Ende der Himmel vollgestopft wird mit allen, die man nur irgendwie auftreiben kann; mit Leuten, die gänzlich unwürdig sind, die im Verhältnis zum Himmel blind, taub, lahm, Bettler sind. Also ein radikaler Gnadenakt, und wer wollte bestreiten, dass nicht auch etwa all unsere modernen europäischen Heiden von heute auf diese Weise mit in den Himmel hinein kommen können? Jeder hat auf Grund dieser Stelle Hoffnung. Andererseits: Der Ernst bleibt. Es gibt die Gruppe jener, die für immer zurück gewiesen werden. Wer weiß, ob unter diesen zurück gewiesenen Pharisäern nicht auch so mancher ist, der glaubte, sich für einen guten Katholiken halten zu dürfen, in Wirklichkeit aber ein Pharisäer war? Wer weiß freilich umgekehrt, ob unter denjenigen, welche die Einladung nicht annehmen, nicht gerade auch jene Europäer sind, denen das Christentum angeboten war, die es aber haben fallen lassen?

So bleibt für alle Hoffnung und Drohung zugleich. In diesem Schnittpunkt von Hoffnung und Drohung, aus dem sich der Ernst und die hohe Freude des Christseins ergeben, hat der Christ von heute sein Dasein zu meistern inmitten der neuen Heiden, die er auf andere Weise in dieselbe Hoffnung und Drohung gestellt erkennt, weil es auch für sie kein anderes Heil gibt als das eine, an das er glaubt: Jesus Christus, den Herrn.

Vortrag von Dr. habil. J. Ratzinger, abgedruckt in „Hochland“ (Oktober/1958)

 



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