Der Mensch: sein eigener Schöpfer?
 

Wort der Deutschen Bischofskonferenz

zu Fragen von Gentechnik und Biomedizin

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“Die fortschreitende Entdeckung des genetischen Code und die immer detaillierteren Erkenntnisse der Anordnung des Genoms sind ein Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnisse, der unmittelbar ein berechtigtes Staunen weckt.”[1] Durch neue Erkenntnisse in der Gentechnik, insbesondere der Humangenetik und Biomedizin wird menschliches Leben in einem neuen Licht betrachtet. In der Bundesrepublik Deutschland steht das Jahr 2001 unter dem Motto “Jahr der Lebenswissen­schaften”. Alle gesellschaftlichen Kräfte sind in diesem Jahr besonders dazu aufgeru­fen, über die Eigenart und die Auswirkungen dieser Wissenschaften nachzuden­ken. Zu den Lebenswis­sen­schaften zählen unter ande­rem die Biowissenschaften mit den Agrarwissenschaften und der Bioinformatik, die Bio­medi­zin und die Pharmazie. Die Lebenswissenschaften wecken viele Erwartungen, Hoff­nungen und Befürchtungen. Sie werden unser Wissen über den Menschen erweitern. Man hofft auf neue Möglichkeiten, schwere Erkrankungen zu diagnostizieren, zu heilen oder ihre Aus­wir­kungen zu lindern. Neue Erkenntnisse fordern aber die Prüfung, ob deren Nutzung ethisch verantwortet werden kann. Schon bislang haben Naturwissenschaft und Technik in den Augen vieler Menschen ihren Verheißungsglanz und ihre moralische Unschuld einge­büßt. Die derzeitige Diskussion orientiert sich an diesen unterschiedlichen Erfahrungen; entsprechend heftig verläuft sie.

Wir Bischöfe greifen diese Diskussion auf, weil uns die Anfragen, die uns errei­chen, zei­gen, dass viele Menschen verunsichert sind und vom christ­lichen Glau­ben Orientierung erwarten. Richtig verstanden umfasst der Begriff Lebenswissenschaften ja nicht nur natur­wissen­schaftliche Forschung im engeren Sinne, sondern bezieht sich auch auf die reichhal­tigen Beiträge von Reli­gion, Anthropologie, Kulturwissenschaft, Philosophie und Ethik zum Verständnis des Lebens. Glaube und Theologie sowie die ethischen Traditionen ent­halten beachtenswerte Gesichtspunkte für die aktuelle Diskussion, denn in ihnen sind ein breites Wissen und eine tiefe Lebenserfahrung über den Umgang mit der Welt und deren lebensdienlicher Gestaltung aufbewahrt, die für die Lebenswis­senschaften klare Beurtei­lungskriterien bieten.

In diesem Wort können wir nicht alle Themen und Probleme der Le­benswissenschaften erörtern. Zu Schwangerschaftsabbruch und Sterbehilfe haben wir uns bereits mehrfach geäußert[2]. Menschliches Leben ist heilig und steht weder an seinem Anfang noch an sei­nem Ende zur Disposition. Abtreibung und Euthanasie werden auch in den kommenden Jahren Gegenstand ethischer und politischer Auseinandersetzung sein. Jetzt möchten wir vor allem jene Probleme in den Blick nehmen, die sich mit den Reproduktionstech­niken, ins­besondere dem Klonen, und der Entschlüsselung des menschlichen Genoms ergeben, und ethische Orientierungshilfen dazu bieten.[3]

Wir rech­nen damit, dass die Möglichkeiten der Lebenswissenschaften an den Grundwer­ten unserer Gesell­schaft rütteln. Unerlässlich ist es deswegen, sich umfassend mit den neuen Erkenntnissen und ihren Auswirkungen vertraut zu machen, aber auch die sich für ihre Nutzung ergebenden ethischen Grenzen zu diskutieren und aufzuzeigen. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie die durch die Lebenswis­senschaften eröffneten neuen Möglichkeiten zum ganzheitlichen Wohl des Menschen genutzt werden können und wie ihr Miss­brauch wirksam verhindert werden kann[4].

Dass es Unsicherheit und Ratlosigkeit bei der Einschätzung und Be­wertung der Erkennt­nisse der Lebens­wissenschaften gibt, hängt damit zusammen, dass in einer plu­ralen Gesell­schaft unterschiedliche Auffassungen vom Menschen aufeinander treffen. Weil die Frage nach dem Menschen immer auch eine religiöse oder weltanschauliche Frage ist, möchten wir, damit unsere späte­ren Über­legungen besser verständlich sind, wenigstens skizzenhaft unsere Auffassung vom Menschen darlegen.

Die biblische Sicht vom Menschen

Die Kirche geht davon aus, dass der biblische Schöpfungs- und Kulturauftrag: “Macht euch die Erde untertan” (Gen 1,28), “bebaut und be­wahrt sie” (Gen 2,15) auch für die Be­wertung der heutigen Eingriffsmöglichkeiten des Menschen gilt. Die Natur ist nicht unan­tastbar, sie kann und soll vom Menschen gestaltet werden. Sonst stünde ja der Mensch der Natur völlig handlungsunfähig gegenüber. Es ist ein Kennzeichen des Menschen als Kul­tur­wesen, dass er die Schöpfung mitgestaltet, sie durch Vernunftgebrauch formt und ver­antwortlich nutzt.

Nach jüdisch-christlichem Glauben hat Gott den Menschen nach seinem Bild geschaffen. Das Le­ben des Menschen ist somit mehr als eine beliebige biologische Tatsache. Und das Leben des Menschen ist auch mehr als eine Sache, mit der man willkürlich verfahren kann. Weil Gott den Menschen nach seinem Bild geschaffen hat, ist sein Leben heilig. Das Leben ist der Verfügbarkeit des Menschen entzogen; da alle Men­schen unter Gottes Schutz stehen, darf sich keiner am Leben des Anderen vergreifen.

Weil der Mensch kein Zufallspro­dukt ist, und weil er sich auch nicht selbst gemacht hat, existiert er nicht in absoluter Au­tonomie. Als endliches Geschöpf kann er weder sich selbst, noch Sinn und Wert seines Lebens garantieren. Er lebt innerhalb vorgegebener Grenzen, die er nicht überschreiten darf. In der Gottebenbild­lichkeit des Menschen gründet auch seine Würde. Sie besagt, dass er im Voraus zu all sei­nen Leistungen, zu all seinen Fähigkeiten und Unfähigkeiten von Gott bedingungslos ge­liebt und bejaht ist. Die Men­schenwürde ist daher unantastbar und kommt allen Menschen, unab­hängig von der Ein­schätzung anderer oder ihrer Selbsteinschätzung zu, den Gebore­nen und Ungeborenen, den Gesunden und Kranken, den Behinderten und Sterbenden. Wir Christen glauben, dass Gott den Wert und die Sinnhaftigkeit eines jeden menschlichen Lebewesens garantiert. Welchen Wert und Sinn das Leben hat, kann sich der Mensch nur von Gott sagen lassen und glau­bend annehmen. In Jesus teilt Gott selbst das Schicksal des Men­schen in Freude und Hoff­nung, in Misserfolg und Leid, bis in die Unausweichlichkeit von Kreuz und Tod hinein. Er ist auch noch bei dem Menschen, der nichts mehr leisten kann, der ver­kannt wird, der in den Augen der Menschen scheitert, der an das Schicksal seiner Krank­heit oder Behinde­rung gebunden ist, der stirbt. Indem Gott Jesus aus dem Tod auf­er­weckt hat, ist uns Chris­ten die Gewissheit gegeben, dass Gott auch uns die Treue hält und uns in Leid und Tod nicht fallen lässt. Der Glaube an die Auferstehung und die Hoff­nung auf Erlösung werfen somit ein neues Licht auf die Probleme der Bio­me­dizin. Krankheit und Behinderung, Lei­den und Sterben sind bei allem Schmerz kein sinnloses Schicksal, sondern können als Teil unseres Lebens erfahren und angenommen werden[5].

Das biblische Menschenbild und insbesondere die Menschenwürde bilden den Rahmen für menschliches Han­deln. Auch nicht­theologische Begründungen führen zu der Erkenntnis, dass die Menschenwürde dem Men­schen allein schon aufgrund seines Menschseins zu­kommt und jeder rechtlichen Regelung vorgängig ist. In diesem Sinne bildet das Prinzip der Menschenwürde, in dem die Unan­tastbarkeit auch der körperlichen Existenz des Men­schen verankert ist, zugleich die Grundlage unserer demokrati­schen Verfassung.

Es bedarf jedoch weiterer Überlegungen, um zu bestimmen, wie im konkreten Fall zu han­deln ist. Hier kommt es zunächst auf die Rechtfertigung der Ziele an: Ist das, was man er­reichen möchte, moralisch zu billigen oder nicht? Dann sind die Mittel zu prüfen: Ist auch der Weg moralisch vertretbar, mit dem man das Ziel erreichen will? Von hoher Bedeutung ist schließlich auch die Abschätzung der Folgen gentechni­schen Handelns: Welcher Nut­zen ist zu erwarten, welcher Schaden ist zu be­fürchten?

Das Human-Genom-Projekt

Seit dem 26. Juni 2000 gilt das menschliche Genom als entschlüsselt. Dieser Meilen­stein der Forschung ist aber zunächst einmal ein digitales Kon­strukt, ein aus den Buchstaben A, G, C und T zusammen gesetzter Text. Es wird noch einige Zeit dau­ern, bis die Forscher das Gelesene auch verstehen und umsetzen können, bis sie die jeweiligen Funktionen als solche und in ihrem Zusammenwirken erkannt haben.

Das Genomprojekt trägt dazu bei, das Phänomen des Lebens und die Entwicklung des In­dividuums besser zu verstehen. Man erhofft sich auch ge­zieltere Diagnosen, da viele Krank­heiten durch genetische Faktoren beein­flusst werden. Schon jetzt werden in Deutschland Gentests für über hundert Krank­heiten angeboten. Mit ihrer Hilfe kann man nicht nur bestehende Erkrankungen feststellen, sondern auch Veranlagungen für Krank­heiten, die sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erst in Zukunft auswirken können.

In diesem Zusammenhang muss man sehen, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur die allerwe­nigsten Erbkrank­heiten geheilt werden können. Wie geht man mit dem Wissen über eine Krankheit um angesichts der Tatsache, dass man nicht sicher weiß, ob sie auf­treten wird, bzw. dass es noch keine Heilung für sie gibt? Eine solche Situation kann uner­träglich sein. Daher muss die Möglichkeit, mehr über sein Erbgut zu erfahren, ein Angebot bleiben, und der Ein­zelne darf nicht gezwungen werden, bestimmte Tests in Anspruch zu nehmen. Das “Recht auf Nichtwissen” als Teil des Grundrechts auf informationelle Selbst­bestim­mung gehört zu den verfassungsmäßig ver­brieften Persönlichkeitsrechten. Um das Ergeb­nis eines Gentests sinnvoll einord­nen und in seinen Konsequenzen verstehen zu kön­nen, bedarf es neben einer ausführli­chen medizinischen dringend auch einer wertori­entier­ten Beratung durch Fachleute vor und nach dem eigentlichen Test.

Weil es sich bei geneti­schen Daten um sehr persönliche Ge­sundheitsdaten handelt, müs­sen sie vor Unbefugten geschützt werden. Auch wenn solche genetischen Testverfahren grund­sätzlich nicht uner­laubt sind, sind die mit ihnen verbundenen Probleme zu klären. Ange­sichts der Ge­fahr, dass der Mensch auf das Biologische reduziert wird, halten wir fest, dass der Mensch mehr ist als die Summe seiner Gene. Eine deterministische Sicht, die den Men­schen allein auf seine genetische Ausstattung redu­ziert, verkennt beispielsweise die soziale Verankerung und emotionale Einbindung, seine Freiheit und seine Verant­wor­tung für die Lebensfüh­rung[6].

Genetische Diagnostik

Bisher finden Gentests vor allem bei der pränatalen Diagnostik Anwendung. Sie wird schwan­geren Frauen, bei denen ein bestimmtes Risiko besteht, angeboten, um festzustel­len, ob der im Mutterleib he­ranwachsende Embryo mit einer Krankheit oder einer Behin­derung behaftet ist. In den meisten Fällen kann die Geburt eines gesunden, im Sinne des Tests unbelasteten Kindes vorhergesagt werden. In manchen Fällen besteht die Möglich­keit, schon vor oder unmittelbar nach der Ge­burt eine Therapie einzuleiten. Oft aber wird der Embryo, wenn bei ihm eine Krankheit oder Behinderung festgestellt wurde, abgetrie­ben. Ein solcher Ent­schluss ist ethisch nicht zu billigen. Es ist selbstverständlich, dass Eltern sich ein gesundes Kind wünschen, aber dies darf nicht dazu führen, dass kranke Kin­der abgelehnt und getötet werden. Eltern sollten deshalb schon im Vorfeld bedenken, in wel­che Konflikte sie eine pränatale Diagnostik führen kann. Diese können in der geneti­schen Beratung bedacht werden.[7]

Eine neue Anwendungsform der genetischen Diagnostik ist die Präimplantations­di­agnostik. Mit ihr wird ein im Reagenzglas erzeugter Embryo, dessen Existenz als Mensch mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt, auf seine erbliche Belastung hin überprüft. Nur wenn der Embryo als erblich unbelastet getestet worden ist, wird er an­schlie­ßend in die Gebärmutter der Frau übertragen. Im Fall einer Belas­tung wird er ver­nichtet. Gegen­über der zuvor genannten Pränataldiagnostik ist die Präimplantationsdagnos­tik von ganz anderer ethischer Qualität. Sie ist in jeder Hinsicht und von vorne herein auf Selektion von menschlichem Leben ausge­richtet und daher ist ihr aus ethi­scher Sicht ent­schieden zu widersprechen[8]. Sie muss daher in Deutsch­land auch weiterhin verboten blei­ben.

Genetische Tests an Neugeborenen sind nur dann als sinnvoll einzuschätzen, wenn da­durch frühzeitig schwere Erkrankungen erkannt, ihnen vorgebeugt und diese be­handelt werden können. Zurückhaltung bzw. Verzicht ist bei der genetischen Dia­gnostik solcher Krank­heiten angeraten, die nicht behandelt werden können. Dem Träger möglicher Erb­krank­heiten bleiben nämlich unter Umständen viele Chancen verschlossen, etwa in der Ausbil­dung, bei der Arbeitssuche, im Beruf oder sogar im Hinblick auf die Ehe. Wenn solche grundlegenden Weichenstellungen im Blick auf die eigene Lebens­führung von anderen vorgenommen werden, ist die Autonomie des Kindes in einer mit seiner Men­schenwürde unvereinbaren Weise bedroht. Durch das aufgedrängte genetische Wissen wird ihm die Unbefangenheit gegenüber seiner Zukunft geraubt.

Prädiktive, also voraussagende Gentests an Arbeitnehmern dürfen im Rahmen von medi­zinischen Eignungsun­tersuchungen vor dem Abschluss eines Arbeitsvertrages weder ver­langt, noch angenom­men, noch sonstwie verwertet werden. Dies dient dem Schutz des Arbeitnehmers vor Dis­kriminierung aufgrund seiner genetischen Disposition. Legitimer Weise kann ein Arbeit­geber bei der Auswahl von Bewerbern jedoch deren gegenwärtige auch gesundheitliche Tauglich­keit für den vorgesehenen Arbeitsplatz prüfen. Wo arbeits­platzspezifische Gesundheitsge­fährdungen vorliegen, muss die Sicherheit des Arbeitsplat­zes verbessert, nicht aber der Bewerber auf künftige Resistenz gegenüber den Gefährdun­gen geprüft werden.

Ähnlich zu beurteilen sind genetische Analysen für die Aufnahme in eine Kranken- oder Lebensversicherung. Auch hier dürfen prädiktive Tests weder verlangt, noch angenommen, noch verwertet werden. Der An­spruch ei­nes Einzelnen auf Beistand durch die Solidarge­meinschaft ist höher zu bewerten als das Recht des Versicherungsgebers auf größtmögliche Transparenz, dies gilt auch für Menschen mit genetischen Belastungen.

Gentherapie

Das ständig zunehmende Wissen über die genetischen Grundlagen von Krank­heiten führt zu dem neuen Therapiekonzept, Krankheiten direkt an ihrem Ursprungsort, den defekten Genen, zu heilen oder – durch Behebung der Krank­heitsursache - gar nicht erst zum Aus­bruch kommen zu lassen. Wir sprechen hier von der Gentherapie, bei der zwischen somati­scher Gentherapie und Keimbahn­therapie unterschieden wird. Die somatische Genthera­pie wird an Körperzellen durchgeführt, ein Heilungserfolg betrifft nur die behandelte Per­son und nicht auch deren Nachkommen. Wie bei konventionellen Therapieformen ist zu prü­fen, ob die Methode sicher ist, die Verhältnismäßigkeit gewahrt wird und der Patient nach Aufklärung frei zustimmt.

Um einen vererbbaren Gendefekt nicht nur bei einer betroffenen Person, sondern auch bei all ihren Nachkommen auszuschalten, müsste er direkt an den Keimzellen, also den Ei- oder Samenzellen oder an der befruchte­ten Eizelle behoben werden. Diese soge­nannte Keimbahntherapie verbietet sich vor allem aus drei Gründen: Erstens ist die gegen­wärtige Methode noch nicht ausgereift, um auf den Menschen angewendet zu werden; das Risiko ist zu groß. Zweitens wird für die weitere Entwicklung verbrauchende Embryonenfor­schung notwendig. Drittens besteht die Gefahr des Miss­brauchs zur Men­schenzüchtung. Denn niemand kann heute den Krankheitsbegriff zureichend eingrenzen bzw. eine solche Eingrenzung durchsetzen.

Klonen

Das Ziel, Krankheiten zu heilen, die bislang nur gelindert werden konnten, verfolgt man auch mit dem sogenannten “therapeutischen Klonen”. Der Ausdruck “therapeutisch” ist hier allerdings irreführend. Einmal abgesehen davon, dass man noch gar nicht weiß, ob über­haupt und wenn ja, wann einmal auf diesem Weg Krankheiten geheilt werden, ist der Weg, auf dem man das Ziel erreichen will, ethisch unvertretbar. Dazu müssen nämlich durch Klonen menschliche Embryonen hergestellt werden. Diese dienen nur als Rohstoff zur Entnahme embryonaler Stammzellen. Dabei darf nicht übersehen werden: Beim thera­peutischen Klonen wird menschliches Leben, das immer zugleich personales und von Gott bejahtes Leben ist[9], zum Ersatzteillager degradiert. Auch medizinischer Nutzen kann kein Verfahren mit menschlichen Lebewesen rechtfertigen, das die unantastbare Würde die­ses Lebens in Frage stellt. Hier ist den deutlichen Hinweisen zu folgen, dass sich die genann­ten medizi­nischen Ziele auf anderem Wege erreichen lassen; z.B. über die Gewin­nung von Stamm­zellen aus dem Körper des erwachsenen Menschen (adulte Stammzel­len).

Vom therapeutischen Klonen zu unterscheiden ist das sogenannte reproduktive Klonen, also die komplette Herstellung der genetischen Kopie eines schon beste­henden Men­schen.[10] Es verbietet sich vor allem aus zwei Gründen. Aufgrund des Herstellungsverfah­rens wird dem Klon die sonst übliche Mischung mütterlicher und väterlicher Gene vorent­halten. Außerdem wird der geklonte Mensch instrumentalisiert. Er wird nicht um seiner selbst wil­len erzeugt, sondern mit bestimmten Ab­sichten, als Mittel zum Zweck, z. B. als Kopie eines als besonders vorzugswürdig erachteten Menschen, vielleicht eines berühmten Zeit­genos­sen, oder aber als Er­satzteillager für Organspenden. Zu Recht wird dieses Verfahren welt­weit geächtet. Den einzelnen Stimmen, die sich seit neuestem gegen diese Ächtung in der Wissenschaft wehren, muss entschieden widersprochen werden.

Arzneimittel

Bei der Herstellung von Arzneimitteln schließt die Gentechnik insofern eine Lücke, als bestimmte Arzneimittel auf anderem Weg überhaupt nicht oder nur mit größe­rem Auf­wand, geringerer Sicherheit und Reinheit hergestellt werden können. Im Hinblick auf den ethisch gebotenen Gesundheitsschutz wäre es unverantwortlich, auf die durch die Gen­technik eröffneten neuen Möglichkeiten der Herstellung von Arzneimitteln zu verzichten. Die Bedeutung der anderen Arzneistoffe wird durch die gentechnische Herstellung einiger Produkte nicht geschmälert. Auch sie haben nach wie vor ihre Berechtigung bei der Be­handlung von Kranken.

Patente auf Leben

Eine Sonderfrage der Gentechnik ist die der Patentierung. Patente sind Schutz­rechte für Erfindungen und Leistungen. Wer Neues schafft, soll auch Nutzen und Gewinn davon ha­ben. Es ist allerdings fraglich, ob die klassischen Patentrechts­grundsätze, die im 19. Jahr­hundert entwickelt wurden und an unbelebter Materie orientiert sind, auch auf das Gebiet der belebten Natur übertragen werden können. Organe, Gewebe, Zellen und Gene werden vom Menschen nicht erfunden, son­dern in der Schöpfung aufgefunden. Wir gehen von dem Grundsatz aus, dass Le­ben als solches allen gehört und nicht patentiert werden kann. Lebewesen und deren Teile sind nicht patentierbar, auch wenn sie biotechnische Verände­rungen tragen. Lediglich das Wissen von Funktionen in derart verän­derten Lebewesen so­wie Verfahren, mit denen veränderte Lebewesen her­ge­stellt werden können, sind paten­tierbar.

Der Mensch muss Verantwortung übernehmen

Das Potenzial der Gentechnik, von dem hier die Rede war, verführt die einen zu einer Machbarkeits-Euphorie, die anderen zu einer völligen Ablehnung. Beides ist falsch. Es gilt, ethisch richtige Ziele und Methoden in der Gentechnik zu unterstützen, falsche Ziel­setzun­gen der Gentechnik zu durch­schauen und weder alles zu glauben, was sie ver­spricht, noch alles zu tun, was sie ermöglicht. Gefordert sind Sensibilität und die Fortentwicklung moralischer Kom­petenz. Insbesondere gilt es, die Würde des Menschen, die Grundrechte auf Leben und körperli­che Unversehrtheit, ebenso wie die Selbstbestimmungsrechte und die Persönlich­keitsrechte zu achten und so einer Kultur des Lebens zum Durchbruch zu verhelfen.

Das Verhalten des Christen gegenüber den einzelnen Anwendungsbereichen der Gen­tech­nik kann je unterschiedlich bestimmt sein von Zustimmung, Wachsamkeit, Betroffenheit und Widerstand.

Wir begrüßen die Bereitschaft der Politiker/innen und Wissenschaftler/innen, die in diesem Text besprochenen Themen in der Öffentlichkeit zur Diskussion zu stellen. Vorausset­zung für ein Gelingen dieser Diskussion ist allerdings auch eine geeignete Information der Dis­kus­sionsteilneh­mer über das Ergebnis und die Grenzen eines solchen Diskussionspro­zes­ses. Wir warnen davor zu glauben, diese Fragen mit Hilfe von Mehrheitsentscheidun­gen klären zu können. Menschenwürde ist nicht disponibel; sie liegt der staatlichen Gewalt voraus und bindet sie (Art. 1 GG). Der Wert menschlichen Lebens von seinem Anfang bis zu seinem Ende gehört zu jenen Vorgegebenheiten, über die nicht abgestimmt werden kann. Dies sagt uns auch unsere Verfassung (Art. 19,2 GG).

Das Nachdenken über den Menschen selbst darf in einem solchen gesellschaftlichen Dis­kurs nicht zu kurz kommen. Es muss überdies deutlich werden, dass ökonomische Gründe nicht hinreichen, um bestimmter ethisch nicht vertretbarer Forschung oder ethisch prob­lematischen Verfahren zum Durchbruch zu verhelfen. Hinter manchen gentechnischen Forschungen und Entwicklungen verbergen sich auch zuweilen massive wirtschaftli­che Interessen, die zu einer industriellen Verwertung und Nutzung des Menschen führen kön­nen.

An die Forscher in diesem Bereich ergeht der Appell, dass sie die menschendienliche Per­spektive nicht aus den Augen verlieren. Zur Verantwortung des Forschers gehört es, dass er die Chancen und Risiken seines Forschungsgegenstandes verantwortungsbewusst über­prüft, einer sorgsamen Folgenabschätzung unterzieht und über sein Tun gewis­senhaft Re­chenschaft gibt.

Das Parla­ment ist gefordert, durch entsprechende Gesetze der Komplexität, den Risikodi­mensionen, den Zukunftswirkungen und den ethischen Implikationen der Gen­technik Rechnung zu tragen.

Der christliche Glaube bewahrt uns vor Machbarkeits- und Erlösungsphantasien, die an wissenschaftliche Erkenntnisse und technische Errungenschaften angehängt werden. Er bewahrt uns auch vor der Anerkennung moralisch bedenklicher Ziele sowie moralisch fal­scher Mittel. Glaube und Vernunft sind nach der Enzyklika “Fides et ratio” die “Flügel” der praktischen Weisheit[11]. Was wir im Glauben annehmen, steht vernünftigen Gründen offen. Was gemäß der sittlichen Vernunft falsch ist, haben wir im Glauben mit zu bekämp­fen oder, was gut und richtig ist, anzuerkennen. Alle, die in der Kirche und Gesellschaft Sorge tragen für eine bessere Erfassung der angesprochenen Probleme, sind dazu aufgeru­fen, den Fortschritt der Lebenswissenschaften mit Verantwortung zu begleiten.

Augsburg, den 7. März 2001

 


Anmerkungen


[1] Johannes Paul II., Ansprache an die Vollversammlung der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften am 28. Oktober 1994, in: OR (D) 24 (1994) Nr. 46, S.7-8, hier: S. 7.

[2] Vgl. z. B. Menschenwürde und Menschenrechte von allem Anfang an, 1996 (Die deutschen Bischöfe 57); Menschenwürdig sterben und christlich sterben / Schwerstkranken und Sterbenden beistehen / Die Hospiz­bewegung / Im Sterben: Umfangen vom Leben, 1996 (Die deutschen Bischöfe 47).

[3] Vgl. Johannes Paul II., In der Achtung der Menschenrechte liegt das Geheimnis des wahren Friedens. Bot­schaft zur Feier des Weltfriedenstages 1. Januar 1999, in: OR (D) 29 (1999) Nr. 1, S. 7-8, hier: S. 7: “Die jüngsten Entwicklungen im Bereich der Gentechnik bringen eine Gefahr mit sich, die tiefe Besorgnis erregt. Wenn die wissenschaftliche Forschung in diesem Bereich der Person dienen soll, muss sie auf jeder Stufe von wachsamer ethischer Reflexion begleitet sein, die sich in entsprechenden gesetzlichen Normen zum Schutz der Unversehrtheit des menschlichen Lebens niederschlägt. Nie darf das Leben zum Objekt degradiert werden.”

[4] Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion “Donum vitae”. Über die Achtung vor dem beginnen­den menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung: Antworten auf einige aktuelle Fragen, vom 10. März 1987, (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 74) Einführung, Nr. 3.

[5] Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben “Salvifici doloris”. Über den christlichen Sinn des mensch­lichen Leidens vom 11. Februar 1984 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 53).

[6] Vgl. Johannes Paul II., “Das menschliche Genom: die Persönlichkeit des Menschen und die Gesellschaft der Zukunft.” Ansprache an die vierte Generalversammlung der Päpstlichen Akademie für das Leben am 24. Februar 1998, in: OR (D) 28 (1998) Nr. 13, S. 10).

[7] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika “Evangelium vitae”. Über den Wert und die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens vom 25. März 1995 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 120) Nr. 14 und 63.

[8] Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben “Novo millennio ineunte”, vom 6. Januar 2001 (Verlautbarun­gen des Apostolischen Stuhls 150) Nr. 51: Der Dienst am Menschen erlegt es uns auf, “ob gelegen oder ungelegen auszurufen, dass alle, die von den neuen Möglichkeiten der Wissenschaft, besonders auf dem Gebiet der Biotechnologien, Gebrauch machen, niemals die grundlegenden Forderungen der Ethik missach­ten dürfen, selbst wenn dies unter Berufung auf eine fragliche Solidarität geschehen sollte, die in Gering­schätzung der jedem Menschen eigenen Würde letztlich zwischen Leben und Leben unterscheidet.”

[9] Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion “Donum vitae”. Über die Achtung vor dem beginnen­den menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung. Antworten auf einige aktuelle Fragen, vom 10. März 1987 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 74) I.1: “Jedes menschliche Wesen muss vom Augen­blick seiner Empfängnis an als Person geachtet und als solche behandelt werden und in Folge dessen muss man ihm von diesem selben Augenblick an die Rechte der Person zuerkennen und darunter vor allem das unverletzliche Recht jedes unschuldigen menschlichen Wesens auf Leben.” Vgl. auch Päpstliche Akademie für das Leben, Erklärung über die Herstellung sowie die wissenschaftliche und therapeutische Verwendung von menschlichen embryonalen Stammzellen, vom 25. August 2000, in: OR (D) 30 (2000) Nr. 37, S. 8‑9.

[10] Vgl. Päpstliche Akademie für das Leben, Reflexionen über Klonierung, in: OR (D) 27 (1997) Nr. 36, S. 9‑11.

[11] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika “Fides et ratio” vom 14. September 1998 (Verlautbarungen des Aposto­lischen Stuhls 135), S. 5.