Vernunft und Glaube 19

Die Gefahren der -ismen.
Sie machen es sich zu leicht!

Tradition

 Es ist um so bedeutsamer, daß im Zusammenhang mit unserer gegenwärtigen Situation einige Philosophen zu Initiatoren der Wiederentdeckung der entscheidenden Rolle werden, die der Überlieferung für eine richtige Erkenntnisform zukommt. Der Verweis auf die Tradition ist nämlich nicht bloß eine Erinnerung an die Vergangenheit; er stellt vielmehr die Anerkennung eines Kulturerbes dar, das der ganzen Menschheit gehört. Man könnte sogar sagen, wir gehören zur Tradition und können nicht einfach über sie verfügen, wie wir wollen. Gerade diese Einwurzelung in der Überlieferung erlaubt uns heute, ein originelles, neues und in die Zukunft weisendes Denken zum Ausdruck zu bringen. Dieser Hinweis gilt auch in hohem Maße für die Theologie — nicht nur, weil sie die lebendige Überlieferung der Kirche als Urquelle besitzt,  sondern auch weil sie dadurch fähig sein soll, sowohl die tiefe theologische Überlieferung, die die vorangegangenen Epochen geprägt hat, als auch die ununterbrochene philosophische Tradition zurückzugewinnen, die durch ihre wirkliche Weisheit die Grenzen von Raum und Zeit zu überwinden vermocht hat.

Gefahren

Die erste dieser Denkrichtungen ist unter dem Namen Eklektizismus bekannt; ein Begriff, mit dem man die Haltung dessen bezeichnet, der in Forschung, Lehre und auch theologischer Argumentation einzelne, aus verschiedenen Philosophien stammende Ideen zu übernehmen pflegt, ohne sich um deren systematischen Zusammenhang und ihre Einbettung in einen geschichtlichen Kontext zu kümmern. Auf diese Weise gerät er in die Lage, den Wahrheitsanteil eines bestimmten Denkens nicht mehr von dem unterscheiden zu können, was an ihm möglicherweise irrtümlich oder unangemessen ist. Eine Extremform des Eklektizismus ist auch im rhetorischen Mißbrauch der philosophischen Begriffe erkennbar, der sich der eine oder andere Theologe bisweilen hingibt. Eine solche Instrumentalisierung dient nicht der Wahrheitssuche und erzieht weder die theologische noch die philosophische Vernunft zu ernsthafter, wissenschaftlicher Argumentation. Das konsequente und gründliche Studium der philosophischen Lehren, ihrer besonderen Sprache und des Umfeldes ihrer Entstehung hilft, die Gefahren des Eklektizismus zu überwinden, und erlaubt eine angemessene Integration dieser Lehren in die theologische Argumentation.

Der Eklektizismus ist ein methodischer Irrtum, könnte aber auch Auffassungen in sich bergen, die für den Historizismus typisch sind. Um eine Lehre aus der Vergangenheit richtig zu verstehen, muß man sie in ihren geschichtlichen und kulturellen Zusammenhang einordnen. Die Grundthese des Historizismus besteht hingegen darin, daß die Wahrheit einer Philosophie auf der Grundlage ihrer Angemessenheit für eine bestimmte Periode und eine bestimmte historische Aufgabe festgestellt wird.

Auf diese Weise wird, wenigstens implizit, die ewige Gültigkeit des Wahren geleugnet. Was in einer Epoche wahr gewesen ist, so behauptet der Historist, braucht es in einer anderen Zeit nicht mehr zu sein. Die Geschichte des Denkens wird für ihn somit kaum mehr als ein archäologischer Fund, aus dem man schöpft, um Positionen der Vergangenheit herauszustellen, die nunmehr großenteils überholt und für die Gegenwart ohne Bedeutung sind. Dagegen gilt es zu bedenken, daß man in der Formulierung, auch wenn sie in gewisser Weise an die Zeit und die Kultur gebunden ist, die in ihr ausgedrückte Wahrheit oder den Irrtum trotz der räumlichen und zeitlichen Distanz auf jeden Fall erkennen und als solche bewerten kann.

Eine weitere Gefahr, auf die es zu achten gilt, ist der Szientismus. Diese philosophische Auffassung weigert sich, neben den Erkenntnisformen der positiven Wissenschaften andere Weisen der Erkenntnis als gültig zuzulassen, indem sie sowohl die religiöse und theologische Erkenntnis als auch das ethische und ästhetische Wissen in den Bereich der reinen Phantasie verbannt. In der Vergangenheit äußerte sich diese Vorstellung im Positivismus und Neopositivismus, die Aussagen metaphysischen Charakters für sinnlos hielten. Die epistemologische Kritik hat diese Einstellung in Mißkredit gebracht; so ist sie jetzt dabei, im Gewand des Szientismus wiederzuerstehen. In dieser Sicht werden die Werte in einfache Produkte des Gefühls verbannt; die Erkenntnis des Seins wird zurückgestellt, um der reinen Tatsächlichkeit Platz zu machen. Die Wissenschaft bereitet sich also darauf vor, sämtliche Aspekte des menschlichen Daseins durch den technologischen Fortschritt zu beherrschen. Die unbestreitbaren Erfolge der naturwissenschaftlichen Forschung und der modernen Technologie haben zur Verbreitung der szientistischen Gesinnung beigetragen. Diese scheint grenzenlos zu sein in Anbetracht dessen, wie sie in die verschiedenen Kulturen eingedrungen ist und welche radikalen Umwälzungen sie dort herbeigeführt hat.

Man muß leider feststellen, daß alles, was die Frage nach dem Sinn des Lebens betrifft, vom Szientismus in den Bereich des Irrationalen oder Imaginären verwiesen wird. Nicht minder enttäuschend ist die Art, in der diese Denkströmung an die anderen großen Probleme der Philosophie herangeht. Sofern sie nicht ignoriert werden, begegnet man ihnen mit Analysen, die sich auf oberflächliche Analogien stützen, die einer rationalen Grundlage entbehren. Das führt zur Verarmung des menschlichen Denkens, dem jene Grundprobleme entzogen werden, die sich das animal rationale von Anbeginn seines Erdendaseins an ständig gestellt hat. Nachdem aus dieser Perspektive die aus der sittlichen Bewertung stammende Kritik zurückgestellt worden war, gelang es der szientistischen Denkart, viele zur Annahme der Vorstellung zu bringen, wonach das, was technisch machbar ist, eben dadurch auch moralisch annehmbar wird.

 Von nicht geringeren Gefahren kündet der Pragmatismus, eine für diejenigen typische Denkhaltung, die es in ihren Entscheidungsprozessen ausschließen, auf theoretische Überlegungen zurückzugreifen oder auf ethischen Prinzipien gestützte Bewertungen vorzunehmen. Die praktischen Folgen aus dieser Denkrichtung sind beträchtlich. Insbesondere hat sich ein Demokratieverständnis durchgesetzt, das den Bezug zu wertorientierten und deshalb unwandelbaren Grundlagen unberücksichtigt läßt: Die Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit eines bestimmten Verhaltens entscheidet sich auf Grund des Votums der parlamentarischen Mehrheit. (105) Welche Konsequenzen ein solcher Ansatz hat, liegt auf der Hand: Die großen moralischen Entscheidungen des Menschen werden in Wirklichkeit den Beschlüssen untergeordnet, die nach und nach von den institutionellen Organen an sich gezogen werden. Mehr noch: Die Anthropologie selbst gerät in massive Abhängigkeit durch das Angebot einer eindimensionalen Sicht vom Menschen, der die großen sittlichen Nöte und die existentiellen Analysen über den Sinn von Leiden und Opfer, von Leben und Tod fern sind.

 Die bis jetzt untersuchten Anschauungen führen ihrerseits zu einer allgemeineren Auffassung, die heute für viele Philosophien, die sich vom Sinn des Seins verabschiedet haben, den gemeinsamen Horizont zu bilden scheint. Ich meine die nihilistische Deutung, die zugleich die Ablehnung jeder Grundlage und die Leugnung jeder objektiven Wahrheit ist. Der Nihilismus ist, ehe er noch im Gegensatz zu den Ansprüchen und Inhalten des Wortes Gottes steht, Verneinung der Humanität des Menschen und seiner Identität. Denn man darf nicht übersehen, daß die Seinsvergessenheit unvermeidlich den Kontaktverlust mit der objektiven Wahrheit und daher mit dem Grund zur Folge hat, auf dem die Würde des Menschen fußt. So wird der Möglichkeit Platz geschaffen, vom Angesicht des Menschen die Züge zu löschen, die seine Gottähnlichkeit offenbaren, um ihn fortschreitend entweder zu einem zerstörerischen Machtwillen oder in die Verzweiflung der Einsamkeit zu treiben. Wenn man dem Menschen einmal die Wahrheit genommen hat, ist die Behauptung, ihn befreien zu wollen, reine Illusion. Wahrheit und Freiheit verbinden sich entweder miteinander oder sie gehen gemeinsam elend zugrunde.

Unsere Zeit ist von einigen Denkern als die Epoche der »Post-Moderne« eingestuft worden. Dieser Begriff, der nicht selten in voneinander sehr weit entfernten Zusammenhängen verwendet wird, bezeichnet das Auftauchen einer Gesamtheit neuer Faktoren, die im Hinblick auf ihre Verbreitung und Wirksamkeit erkennen ließen, daß sie bedeutsame und dauerhafte Veränderungen zu verursachen vermögen. So ist der Begriff anfangs auf ästhetische, soziale und technologische Phänomene angewandt worden. Später wurde er in den philosophischen Bereich übertragen, wobei er jedoch eine gewisse Zweideutigkeit aufwies — sowohl deshalb, weil das Urteil über das, was als »postmodern« eingestuft wird, manchmal positiv und manchmal negativ ist, als auch daher, weil es kein Einvernehmen über das heikle Problem der Abgrenzung der verschiedenen Geschichtsepochen gibt. Eines steht jedoch außer Zweifel: Die Denkrichtungen, die sich auf die Post-Moderne berufen, verdienen entsprechende Aufmerksamkeit. Denn nach Ansicht einiger von ihnen wäre die Zeit der Gewißheiten hoffnungslos vorbei; nunmehr müßte der Mensch lernen, vor einem Horizont völliger Sinnferne im Zeichen des Vorläufigen und Vergänglichen zu leben. In ihrer zerstörerischen Kritik an jeder Gewißheit ignorieren zahlreiche Autoren die notwendigen Unterscheidungen und leugnen auch die Glaubensgewißheiten.

Dieser Nihilismus findet eine Art Bestätigung in der schrecklichen Erfahrung des Bösen, die unser Zeitalter gezeichnet hat. Der Dramatik dieser Erfahrung gegenüber vermochte der rationalistische Optimismus, der in der Geschichte den fortschreitenden Sieg der Vernunft als Quelle von Glück und Freiheit sah, nicht standzuhalten, so daß eine der ärgsten Bedrohungen am Ende dieses Jahrhunderts die Versuchung der Verzweiflung ist.

Es trifft jedoch zu, daß eine bestimmte positivistische Geisteshaltung weiterhin die Illusion glaubhaft macht, daß dank der naturwissenschaftlichen und technischen Errungenschaften der Mensch als Weltenschöpfer von sich allein aus dahin gelangen könne, sich der völligen Herrschaft über sein Schicksal zu versichern.

 


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