La  Cristiano


Gemeinsam die Familie stark machen
Ein hervorragendes Buch darüber, wie der Kinderwunsch geweckt und Wirklichkeit werden kann
DT vom 14.10.2006

VON STEFAN REHDER

 

Die Zahl der Geburten nimmt weiter ab, die Zahl der alten Menschen wächst. Deutschland vergreist. Langsam, aber sicher. Und obwohl diese Entwicklung in vielen Industrieländern ähnlich verläuft – wenn auch nirgendwo so dramatisch wie in Deutschland – so handelt es sich dabei doch keineswegs um ein Naturgesetz. Im Gegenteil: Auch heute wünschen sich repräsentativen Umfragen zufolge die meisten jungen Menschen eine Familie und Kinder. Allerdings setzen immer weniger Menschen diesen Wunsch auch in die Tat um. Wurden 1964 hierzulande noch 1,36 Millionen Kinder geboren, so durften im vergangenen Jahr nur noch rund 680 000 Kinder das Licht der Welt erblicken. In dem vorliegenden, von Rainer Beckmann, Mechthild Löhr und Stephan Baier herausgegebenen Sammelband, der auf ein Symposium zurückgeht, das die Christdemokraten für das Leben (CDL) im vergangenen Jahr in Kooperation mit der Konrad-Adenauer-Stiftung ausgerichtet haben, spüren namhafte Autoren der Frage nach, was alles dafür verantwortlich ist, dass Wunsch und Wirklichkeit derart auseinander klaffen. Unterschiedlich in Stil und Konzeption beschreiben sie die bevölkerungs- und familienpolitischen, die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Herausforderungen, vor denen die Gesellschaft angesichts der bestehenden und weiter zunehmenden Kinderlosigkeit steht, und zeigen Lösungen für ihre Bewältigung auf.

Gegliedert ist das durchweg lesenswerte Werk in vier Teile. In einem ersten unterziehen neben anderen der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg, die Ökonomen Jacques Bichot und Norbert Walter, der Jurist Rainer Beckmann und die Theologin Jutta Lang die demographische Krise einer detaillierten Analyse. Der zweite Teil fragt danach wie der Stellenwert, den die Familie gegenwärtig in Politik und Gesellschaft besitzt, gestärkt werden kann. Gangbare Wege zeigen hier der Salzburger Weihbischof Andreas Laun, der Generalsekretär der „Deutschen Evangelischen Allianz“ Hartmut Steeb, der Sozialethiker Manfred Spieker, der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung Bernhard Vogel sowie Karl Heinz van Lier auf, der das Bildungswerk der Konrad-Adenauer-Stiftung in Mainz leitet und 2004 zusammen mit anderen das Forum „Familie stark machen“ gründete. Im dritten Teil des Buches blicken Stephan Baier, Europa- und Österreich-Korrespondent dieser Zeitung, Alice und Peter Pitzinger, Inese Slesere, Mitglied des lettischen Parlaments, die Journalistin und Sachbuchatorin Theresa Król sowie Douglas Sylva, Vizepräsident des „Catholic Family and Human Rights Institute“ in New York, über den deutschen Tellerrand und beleuchten am Beispiel Österreichs, Lettland, Polens sowie der internationalen Politik, dass der Mangel an Kindern auch eine gewaltige internationale Herausforderung darstellt. Unter der Überschrift „Familie konkret“ beschreiben im vierten und letzten Teil die ZDF-Moderatorin Gundula Gause und die Oberbürgermeisterin von Würzburg, Pia Beckmann, wie sie im Alltag Familie und Beruf vereinbaren. So interessant und aufschlussreich auch gerade diese beide Beiträge sind, so bedauerlich ist es doch, dass ihnen nicht auch Beiträge anderer Frauen hinzugestellt wurden, etwa der einer so genannten „Vollzeit-Mutter“ oder auch der einer Alleinerziehenden. Der Anhang offeriert die viel beachtete familienpolitische Rede, die Bundespräsident Horst Köhler zu Beginn dieses Jahres beim Jahresempfang der Evangelischen Akademie in Tutzing gehalten hat.

Gemeinsam ist den Autoren, dass sie viele Facetten des Problems für hausgemacht halten. So weist etwa Rainer Beckmann in seiner detaillierten Analyse der geltenden rechtlichen Bestimmungen nach, dass die Familien in Deutschland sozialrechtlich nicht gefördert werden, sondern durch das Recht, welches die Kosten der Kindererziehung privatisiert, den gesellschaftlichen Mehrwert der Kindererziehung jedoch sozialisiert, vielmehr massiv benachteiligt werden. Jutta Lang zeigt in einem über weite Strecken brillianten Beitrag, welche verherrende Wirkungen verschiedene ausufernde feministische Strömungen auf das Bild hatten, welches sich die Gesellschaft vom Muttersein und der Familie allgemein gemacht hat. Zwar fänden heute weder der „gynozentrische Feminismus“ noch der so genannte Gleichheitsfeminismus, welche die Schwangerschaft zum „Gebärzwang“ herabwürdigten, noch nachhaltigen Anklang, doch müssten Frauen, die sich für ein Leben als „Nur“-Mutter und Hausfrau entscheiden – quasi als Spätfolgen dieser Ideologien – mit gesellschaftlicher Stigmatisierung rechnen. Gerade den heutigen, vielfach sehr gut ausgebildeten Frauen mit Karrierechancen verlange „dieses Stigma“ einen „hohen Grad an Selbstüberwindung“ ab. Die heutige Frau könne, so Lang, zwar nicht als „Familien- oder Kinderhasserin bezeichnet“ werden, „aber sie ist auch keine Märtyerin, die bereit ist, um der Familie willen alle Diskriminierungen in Kauf zu nehmen, zumal sie ja auch selbst von den Wertvorstellungen unserer Gesellschaft geprägt ist“.

Einige der Autoren weisen in ihren Beiträgen in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass es angesichts sinkender Geburtenzahlen völlig unverständlich sei, dass der Gesetzgeber die bestehende Abtreibungsregelung für unantastbar erachte. Am deutlichsten wird hier der Salzburger Weihbischof Andreas Laun. In einem großartigen Beitrag, der eigentlich die Aufgabe skizziert, welche der Kirche angesichts der demographischen Krise zufalle, vergleicht Laun an einer Stelle die heutige Lage ganz plastisch mit der der Ölkrise. Während man damals sofort den Ölverbrauch eingeschränkt und zudem Überlegungen angestellt habe, wie neue Quellen erschlossen werden könnten, tue man jetzt „wo die ,Fördermengen‘ des ,Rohstoffes Kind‘ dramatisch gesunken sind, das Gegenteil: Die Verhinderung und Vernichtung des ,Rohstoffes Kind‘, der so dringend benötigt wird, geht ungebremst weiter, wird teilweise sogar staatlich gefördert, und man wagt es nicht, den ursächlichen Zusammenhang zwischen Kindermangel und Abtreibung auch nur zu denken, geschweige denn, dass man mutig genug wäre, die Kinder-Vernichtungsindustrie der Abtreibung auch nur vorsichtig als ,Täter‘ zu benennen.“

Der Wirtschaftswissenschaftler Jacques Bichot zeigt in seinem Beitrag, welche wirtschaftlichen Konsequenzen der dramatische Geburtenrückgang zeitigt. Dabei weist er nach, dass Vollbeschäftigung nicht aus einem geringen Aufkommen an jungen Arbeitskräften am Arbeitsmarkt resultiert, „sondern aus einer Wirtschaftsdynamik, für die eine Fertilitätsrate von 1,5 einen positiven Faktor darstellt“. Daher sei die nachhaltige Entwicklung durch den Geburtenrückgang heute „in den reichen Ländern ebenso bedroht, wie durch die extrem hohe Geburtenrate, die die armen Länder über mehrere Jahrzehnte verzeichnet haben und die in einigen dieser Ländern immer noch vorhanden ist“. Auf dem Spiel stünden daher sowohl die „Zukunft unserer Sozialsysteme“ als auch die Stabilität an den Kapitalmärkten. Bichot macht deutlich, dass auch Wohl und Wehe der Finanzwelt von der demographischen Entwicklung abhängt und „eine Verringerung der Basis der Alterspyramide“ bereits mittelfristig eine „destabilisierende Wirkung auf die Kapitalmärkte“ besitze.

Dass damit letztlich auch die Frage von Krieg und Frieden angesprochen ist, liegt auf der Hand. Ein Thema, dem sich auch Stephan Baier, wenn auch von anderer Seite, nähert. Die demographische Krise führe, so seine These, zu einem „wachsenden Verteilungsstress“ und verschärfe bestehende Konflikte, die zwischen Alten und Jungen, Kinderlosen und Familien mit Kindern sowie Ureinwohnern und Zuwanderern existierten. Wirkungsvoll könne ihnen Europa – nicht zuletzt mit Blick auf die Expansion des Islams – nur dann begegnen, wenn es sich seiner „christlichen Identität“ neu bewusst werde. Dies gelte insbesondere für das „in der säkularisierten Gesellschaft weitgehend ins Hintertreffen geratene christliche Verständnis von Ehe und Familie, von Kindern und vom Lebensrecht jedes Menschen“. Mit „Kindern: Wunsch und Wirklichkeit“ ist Herausgebern und Autoren ein sehr verdienstvolles Buch gelungen, das kompetent, interdisziplinär und in nahezu umfassender Weise Gründe und Folgen des demographischen Wandels beleuchtet und das nicht zuletzt Politikern als Lektüre ans Herz gelegt werden darf.