Zehn Thesen zur Christenverfolgung



Der Politologe Andreas Püttmann
gibt Antworten auf brisante Fragen unserer Zeit.


Was unterscheidet christliche Märtyrer von muslimischen Fanatikern? Warum braucht der Westen heute Christen mit Bekennermut? Und warum wird es immer Christenverfolgungen geben? Der Politikwissenschaftler Dr. Andreas Püttmann gibt im folgenden Beitrag Fragen auf diese Antworten. Der Text basiert auf einem Vortrag, den der Verfasser beim diesjährigen Kongress „Freude am Glauben“ des Forums Deutscher Katholiken in Fulda gehalten hat.



Mein Glaube war nicht käuflich“ -
 Zehn Thesen zur Christenverfolgung



1. Jesu Leben als Urbild von Verfolgung und Martyrium

Verfolgung und Martyrium um des Glaubens willen gehören von der Geburtsstunde des Christentums an zu seinen Grunddimensionen. Jesus selbst war ein Verfolgter, und zwar seit frühester Kindheit, als Herodes’ Häscher Maria und Josef zur Flucht nach Ägypten ins Exil trieben. In seiner Heimat Nazareth provoziert der Gottessohn gefährliche Empörung: „Sie sprangen auf und trieben Jesus zur Stadt hinaus; sie brachten ihn an den Abhang des Berges (...) und wollten ihn hinabstürzen“ (Lk 4,29). Jesu unerschrockene, manchmal auch anprangernde Reden rufen insbesondere beim religiösen Establishment Widerspruch und Wut hervor und schließlich – begünstigt durch Verrat in den eigenen Reihen – eine tödliche Gegenreaktion: Die Hohenpriester suchen und finden eine Möglichkeit, „Jesus mit List in ihre Gewalt zu bringen, um ihn zu töten“ (Mk 14,1). Jesus Christus ist gleichsam das Urbild des christlichen Märtyrers.

2. Bedrängnis als Normalfall christlicher Weltexistenz

Im Johannesevangelium (15,20) sagt Jesus seinen Jüngern voraus: „Der Sklave ist nicht größer als sein Herr. Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen“. Bei Matthäus (10,16ff) warnt Jesus die Seinen: „Seht, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Nehmt euch vor den Menschen in acht! Sie werden euch vor die Gerichte bringen und in ihren Synagogen auspeitschen. Ihr werdet um meinetwillen vor Statthalter und Könige geführt, damit ihr vor ihnen und den Heiden Zeugnis ablegt“. Ähnlich heißt es bei Lukas (21,12):

„Man wird euch festnehmen und euch verfolgen. Man wird euch um meines Namens willen den Gerichten der Synagogen übergeben, ins Gefängnis werfen und vor Könige und Statthalter bringen.“ So geschah es. Petrus und die Apostel aber, vor den Hohen Rat zitiert, sprechen unerschrocken „die Grundformel der christlichen Freiheit des Individuums“ aus: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5,29).

Joaquín Alliende, geistlicher Leiter von „Kirche in Not“, erinnerte jüngst daran, dass die Bedrängnis biblisch-historisch nicht als Ausnahme, sondern als Normalfall christlicher Existenz zu betrachten ist: „Der Teufel existiert und kämpft unermüdlich weiter gegen Christus und die Seinen. (...) Wenn die Kirche ihrem Bräutigam Jesus treu bleibt, dann ist es nicht verwunderlich, dass sie verfolgt wird. Überraschender und besorgniserregender wäre es, wenn sie nicht verfolgt würde und die Mächtigen der Welt, die heute in den Massenmedien ein privilegiertes Sprachrohr finden, ihr applaudierten“. Anders gesagt: eine Kirche, an der man sich nicht mehr reibt, die in der säkularen Öffentlichkeit nicht mehr aneckt, muss sich fragen, was sie falsch gemacht hat. Das Idealbild des Bischofs ist insofern nicht der populäre Bürgermeister-Typ, sondern der verpönte Störenfried des bequemen Konsenses und der moralischen Abstumpfung. Ich brauche ja wohl keine Namen zu nennen.

3. Die theologische Dimension der Verfolgung

Jesus verspricht: „Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein“ (Mt 5,11f). Denn: „Wer sich nun vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen“ (Mt 10,32). Dort wird man die Blutzeugen zu jenen zählen, die nach der Offenbarung des Johannes (7, 14-17) vor dem Thron Gottes stehen: „Es sind die, die aus der großen Bedrängnis kommen. Sie haben ihre Gewänder gewaschen und im Blut des Lammes weiß gemacht. (...) Sie werden keinen Hunger und keinen Durst mehr leiden, (...) und Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen“.

Im Einklang mit diesen Verheißungen nannte Pater Werenfried van Straaten die verfolgten Christen „die Elite der Kirche (...). Das Leiden der Märtyrer kommt allen zugute. Daher ist es eine hohe Auszeichnung, um des Namens Jesu willen Schmach zu leiden, mit dem leidenden Herrn verbunden zu sein und an seinem Erlösungswerk teilzunehmen“ .

Auch Jesus erlöste uns nicht durch Worte und Handlungen, sondern durch sein Leiden, betonte Papst Benedikt XVI. jüngst in einem Brief an einen schwer kranken Bischof, der mutig jahrzehntelanger Anfeindung trotzte, und fuhr fort: „Wenn der Herr Dich nun gleichsam mit auf den Ölberg nimmt, dann sollst Du doch wissen, dass Du gerade so ganz tief von seiner Liebe umfangen bist und im Annehmen Deiner Leiden ergänzen helfen darfst, was an den Leiden Christi noch fehlt“ .

Auch alle verfolgten Christen ergänzen – gemäß dem tiefgründigen Pauluswort (Kol 1, 24) – in ihrem Leib, „was an den Leiden Christi noch mangelt“. Und wo sie lebensbedrohliche Aggressionen erleiden, die Schiller in den Satz goss: „Gewalt ist für den Schwachen jederzeit ein Riese“ (Don Carlos), da mag sie Jesu Wort stärken: „Fürchtet Euch nicht vor denen, die den Leib töten, aber darüber hinaus nichts weiter zu tun vermögen“ (Lk 12,5).

4. Christenverfolgung und Nächstenliebe

Christliches Widerstehen im Glauben bis hin zum Opfer des Lebens stellt auch eine Form des Dienstes am Nächsten und am Gemeinwohl dar: Es lenkt den Blick der Mitmenschen auf die letzte Wahrheit und eine letzte Realität. Es ist ein Zeichen der Absolutheit Gottes und damit eine notwendige Antwort auf den Relativismus. Die von der Kirche mit Sorgfalt zusammengetragenen Akten der Märtyrer bilden – so der Weltkatechismus (Ziff. 2474) – „die mit Blut geschriebenen Archive der Wahrheit“.

Schon Tertullian bezeichnet das Martyrium als „den Samen für neue Christen“, durch den die standhaften Bekenner anderen den Weg zur Wahrheit und damit zu einem Leben in Fülle eröffnen. Und denjenigen, deren Glaube lau geworden ist, werden die Verfolgten zur lebendigen Katechese „dafür, dass Christsein mehr bedeutet, als auf Erden anständig zu leben. Sie sagen uns mit ihrer Existenz, dass der Glaube eine Sache auf Leben und Tod ist“.

Dennoch sucht der Christ nicht das Martyrium so wie es manche muslimischen Fanatiker heute blutrünstig demonstrieren – und schon gar nicht auf Kosten anderer. Der christliche Märtyrer ist das Gegenteil des Selbstmordattentäters, der aus Hass tötet und stirbt und Unschuldige mit in den Tod reißt. Das christliche Martyrium ist der Extremfall der Liebe.

„Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“ (Joh 15,12-13). Paulus betont im Ersten Korintherbrief: „Wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe, hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir nichts“ (1 Kor 13,3). Ein christliches Martyrium ist zunächst der höchste Liebesbeweis gegenüber Gott, kann aber auch aus Nächstenliebe erwachsen.

Pater Maximilian Kolbe sollte nicht Gott, der Kirche oder seinem Glauben abschwören. Er gab sein Leben freiwillig für einen Familienvater, der erschossen werden sollte. Er hatte das Martyrium nicht gesucht, war aber von Gott offensichtlich gut genug darauf vorbereitet worden. Das Martyrium ist kein reines Menschenwerk, sondern der Gnade Gottes zuzuschreiben: Im Philipperbrief (1,29) betont Paulus: „Denn euch wurde die Gnade zuteil, für Christus dazusein, also nicht nur an ihn zu glauben, sondern auch seinetwegen zu leiden“.

Fast übermenschlich ist auch die Liebe, die Jesus den verfolgten Christen im Verhältnis zu ihren Peinigern predigt und vorlebt: „ Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet“ (Mt, 5,44). So haben die Märtyrer der Kirche im Sterben ihren Mördern verziehen. In Stephanus’ Gebet: „Herr, rechne ihnen dies Sünde nicht an!“ (Apg 7,60) hallt Jesu Bitte auf Golgatha wider: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23,34).

Die Feindesliebe soll sich aber schon weit vor dem Martyrium manifestieren, nämlich indem Christen ihrer Unterdrückung nicht wütend, verbittert und zähneknirschend widerstehen, sondern hoffnungsfroh, maßvoll und vernünftig argumentierend. Jesus ließ sich vom Knecht des Hohenpriesters nicht einfach schlagen, schlug aber auch nicht zurück, sondern stellte seinen Peiniger zur Rede: „Wenn es nicht recht war, was ich gesagt habe, dann weise es nach; wenn es aber recht war, warum schlägst du mich?“ (Joh, 18,23).

5. Tugenden gläubigen Widerstehens unter Verfolgung

Schon in römischer Zeit warnten Bischöfe die Gläubigen davor, sich von vornherein und auf eigene Faust nach dem Martyrium zu drängen und dafür den Willen Gottes in Anspruch zu nehmen. Der menschlichen Schwäche wegen wäre es unklug, und wegen des Wertes jedes Menschenlebens unmoralisch, sich leichtfertig oder mutwillig in eine existenzgefährdende Situation zu bringen. Die meisten Märtyrer hatten durchaus eine gesunde Angst vor einem Schicksal, dass die menschlichen Kräfte im Normalfall übersteigt.

Etliche fielen im letzten Moment ab. Tugendethisch gesprochen, bedarf die Tapferkeit im Zeugnisgeben daher der anderen Kardinaltugenden Klugheit, Gerechtigkeit und Mäßigung, um nicht in Tollkühnheit umzuschlagen. „Seid daher klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben!“, mahnt der Herr (Mt 10, 16).

Zu dieser Klugheit gehört auch eine nüchterne Kalkulation der Kräfteverhältnisse und ein gewissenhaftes Abwägen aller Folgen. In den christlichen Lehren vom gerechtfertigten Widerstand gegen ungerechte Staatsgewalt werden strenge Bedingungen an den Einsatz von Waffengewalt gestellt: Neben dem sicheren Wissen um eine schwerwiegende und andauernde Verletzung von Grundrechten (1.) sind dies die Ausschöpfung aller anderen Hilfsmittel (2.), die Vermeidung noch schlimmerer Unordnung als Folge (3.), die Aussicht auf Erfolg (4.) und der Mangel an vernünftigen Alternativen (5.).

Wo Christen heute unterdrückt werden, fehlt es einem bewaffneten Widerstand fast immer an der Aussicht auf Erfolg, da Verfolgung typischerweise in einer Minderheitssituation droht, die militärische Unterlegenheit einschließt. Der Regelfall christlicher Antwort auf Unterdrückung der Religionsfreiheit oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit muss daher ein geistiger Widerstand sein: Bekundung weltanschaulicher Distanz, verweigerte Mitwirkung, Hilfe für die Opfer, Gebet für Verfolgte und Verfolger. Das Opfer des Lebens bleibt demgegenüber nur Extremfall.

Christen können dazu beitragen, Unrechts- und Verfolgungssituationen erst gar nicht entstehen zu lassen, indem sie, sofern oder solange es in einer Gesellschaft möglich ist, ihren Glauben missionarisch leben und Führungsaufgaben in verschiedensten Bereichen des Gemeinwesens übernehmen, damit der Widerstandsfall, in dem es Gott zu geben gilt, was Gottes ist (vgl. Mt 22, 15-22), gar nicht erst eintritt.

Der Publizist Johannes Gross warnte einmal vor einem „katakombensüchtigen Christentum“, welches aus dem Mißstand einer schrumpfenden Kirche das Ideal einer „kleinen, aber feinen“ Kontrastgesellschaft konstruiere, die den „Staat des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe“ voreilig defätistisch nichtchristlichen Kräften überlasse. Bekenntnisfaulheit und Bekenntnisfeigheit, Bekenntnisunwilligkeit und Bekenntnisunfähigkeit führen langfristig in eine Minderheitenposition, in der die Glaubensfreiheit leichter in Gefahr gerät, zunächst faktisch gesellschaftlich, später auch rechtlich. Je mehr Mitglieder mit Zivilcourage die Kirche heute hat, desto weniger Helden wird sie morgen brauchen.

6. Christenverfolgungen der Gegenwart

Ausgerechnet das 20. Jahrhundert, das mit dem Anspruch von Humanismus, Menschenrechten und Demokratie angetreten war, brachte ideologische Bewegungen hervor, welche die Glaubensfreiheit teilweise bis vollständig abschafften und die umfangreichsten Christenverfolgungen seit Neros und Diokletians Zeiten organisierten. Zigtausende Geistliche und christliche Laien verschwanden in Gulags und KZ’s, wurden misshandelt und ermordet, Millionen andere drangsaliert und diskriminiert.

Die Landkarte der Unterdrückung und Verfolgung umfasst über 40 Staaten insbesondere Nordafrikas, des Orients und Südostasiens, darunter die aufstrebende Weltmacht China und die größte Demokratie der Welt, Indien. Seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums dominiert dabei eine andere Gefahr für die Freiheit der Kirche und das Leben ihrer Gläubigen: Der islamische Fundamentalismus, Integralismus und islamistische Terrorismus.

Der Bonner Journalist Reinhard Backes hat 2005 in seinem Buch: „Sie werden euch hassen – Christenverfolgung heute“ einen sehr guten Überblick über die Situation der unterdrückten Kirchen unter dem Halbmond, unter Hammer und Sichel sowie im Spannungsfeld der Interessen gegeben und dabei politische und religiös-kulturelle Analysen mit aufschlussreichen Einzelfallschilderungen verbunden.

Die ARD sendete vor wenigen Wochen einen erschütternden Bericht über Christenverfolgungen in Palästina, Ägypten und Indonesien, wobei alltägliche Gewalterfahrungen, die kaum Schlagzeilen machen, im Vordergrund standen – von Grabschändungen über Steinewerfereien bis hin zu Straßenkämpfen und Morden. Im Heiligen Land habe sich die Minderheitensituation der Kirche unter dem feindseligen Klima eines aggressiven Islamismus immer weiter verschärft; früher bekannte sich hier jeder Fünfte, heute nur noch jeder Fünfzigste Bewohner zum christlichen Glauben.

7. Die Solidarität mit den verfolgten Brüdern und Schwestern

„In allen Zeiten ihrer Geschichte hat die Kirche jene, die ,für den Namen Christi’ leiden, mit außerordentlicher Aufmerksamkeit, großer Sorge und besonderer Liebe umgeben“, betonte Papst Johannes Paul II. im August 1983 in Lourdes. Biblische Vorbilder bleiben die weinenden Frauen von Jerusalem, Veronika, Simon von Cyrene und Maria.

Pater Werenfried ermahnt uns: „Diesen Dienst des Mitleidens durch einen Blick der Ermutigung, durch einen Bissen Brot, durch Öl und Wein in den klaffenden Wunden... diesen hohen Dienst der Liebe fortzusetzen ist eure Ehrenschuld gegenüber der verfolgten Kirche, die Christus ist. All eure Gaben für die verfolgten Brüder gelangen mit unfehlbarer Sicherheit in die Hände Jesu, der ausdrücklich erklärt hat: ,Was ihr den geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan’“ .

Die verfolgten Christen haben gleichsam doppelte Priorität: als Notleidende und als Glaubensbrüder. Paulus fordert im Galaterbrief (6,10): „Deshalb wollen wir, solange wir noch Zeit haben, allen Brüdern Gutes tun, besonders aber denen, die mit uns im Glauben verbunden sind“. Ich erinnere mich dankbar daran, dass meine Eltern schon uns Kinder Nachtgebete lehrten, in denen „die Menschen, die um ihres Glaubens willen verfolgt werden“, einen festen Platz hatten.

Im Ersten Korintherbrief heißt es: „Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit“ (1 Kor 12,26) – auch und gerade im Leib Christi. Aber wie sieht die Realität aus? Die Solidarisierung mit den weltweit unter kommunistischer Diktatur verfolgten Christen war in den westlichen Wohlstandsgesellschaften und Kirchen teilweise eigentümlich lau.

Anklagen gegen die Machthaber etwa in der Tschechoslowakei, Rumänien oder der DDR störten die „Entspannungspolitik“. Fürbittgebet, Hilfsaktionen, Demonstrationen oder politische Initiativen wurden nur von engagierten Minderheiten getragen. Unter den Helfern für die Brüder hinter dem Eisernen Vorhang waren konservative Christen stärker präsent als die sogenannten fortschrittlichen bzw. liberalen Kräfte.

Diese hofierten lieber marxistisch inspirierte Befreiungstheologen, sogar wenn sie sich, wie etwa in Nicaragua, zu Handlangern linksautoritärer Regimes machen ließen. Die unter dem realen Marxismus leidenden Christen gleich hinter der Grenze konnten dagegen keine breite Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Diese Geschichte ideologisch bedingten Versagens bedarf noch der historisch-moralischen Aufarbeitung. Aber auch in der Gegenwart lassen emotionale Betroffenheit und Hilfe für die verfolgten Christen in weiten Teilen unserer Kirche zu wünschen übrig.

8. Das Hilfswerk Kirche in Not

Hauptakteur der Hilfe für verfolgte Christen ist bis heute das 1947 durch Pater Werenfried van Straaten gegründete internationale katholische Hilfswerk „Kirche in Not“ mit 17 nationalen Sektionen und 600.000 Spendern, das in mehr als 130 Ländern der verfolgten, bedrängten oder armen Kirche hilft. Es verleiht der notleidenden Kirche weltweit eine Stimme, wirbt um fürbittendes Gebet und sammelte insgesamt schon rund drei Milliarden Euro für pastorale Projekte.

Schon die Tatsache, dass das Werk 2005 mit 74,4 Millionen Euro Spendengeldern das zweithöchste Ergebnis seiner Geschichte erreichte, zeigt, dass auch nach dem Zusammenbruch des Ostblocks keine Motivationskrise der Spenderklientel und leider auch keine Aufgabenverminderung festzustellen war. In Deutschland bringen rund 55.000 Spender jährlich etwa 12,5 Millionen für das Hilfswerk auf.

1999 empfahl „Kirche in Not“ die Wiedereinführung des jährlichen „Gebetstages für die verfolgte Kirche“, zu welchem die katholischen deutschen Bischöfe bis zum Jahr 1994 aufgerufen hatten. Aktuelle Berichte aus Indien, dem Sudan, Pakistan, China und vielen anderen Ländern hätten gezeigt, wie aktuell und wichtig internationale Solidarität für die bedrängten Christen weiterhin sei. Dieser Initiative wurde bisher nicht entsprochen.

9. Christen als Verfolger – und als Verteidiger der Religionsfreiheit

Größere Aufmerksamkeit als verfolgte Christen fanden in der Medienöffentlichkeit jahrzehntelang Christen als Verfolger. Nach der eigenen Leiderfahrung durch eine etwa 300 Jahre lange Bedrängnis im Römischen Imperium mit rund zehn Wellen grausamer Verfolgung – dem „Heldenzeitalter der Kirche“ – erlagen Christen später der Versuchung, dort, wo sie die Macht hatten, selbst religiös unduldsam zu werden und Andersgläubige oder Glaubensabweichler zu drangsalieren, zu vertreiben oder umzubringen.

Düstere Kapitel hierbei sind etwa die Kolonialisierung der „Neuen Welt“, die konfessionellen Kriege des 16. und 17. Jahrhunderts und der Antijudaismus, wobei sich politische, ökonomische und religiöse Motive unentwirrbar vermischten. Jedenfalls gaben Christen ein schlechtes Beispiel, welches die Glaubwürdigkeit der Kirche bis heute belastet, obwohl sie sich, etwa durch die Schulderklärungen im Heiligen Jahr 2000, den Verbrechen im Namen Jesu längst selbstkritisch gestellt hat.

Heute tritt die Kirche überzeugend für die Religionsfreiheit ein und nimmt sie für sich in Anspruch. Auf einer Nachfolgekonferenz zur Schlußakte von Helsinki hat der Vatikan 1988 zehn Rechte genannt, die ein Staat respektieren und verteidigen muss: Das Recht der Eltern, ihren Kindern einen Glauben zu vermitteln; die Respektierung religiöser Überzeugungen im weltlichen Erziehungswesen; das Recht einer Person auf individuelle oder in Gruppen organisierte religiöse Erziehung; das Recht jeder religiösen Gemeinschaft, ihre Geistlichen in eigenen Institutionen auszubilden; das Recht religiöser Gemeinschaften auf Gottesdienst in respektierten Gebäuden;

das Recht auf offenen Austausch religiöser Information und den Erwerb von Schriften; das Recht zu religiösen Zwecken Medien einzurichten und zu anderen Medien Zugang zu haben; das Recht sich ungehindert zu versammeln, einschließlich Pilgerfahrten im In- und Ausland; das Recht auf Gleichbehandlung ohne Diskriminierung in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher oder kultureller Hinsicht; das Recht jeder religiösen Gemeinschaft, sich nach eigenem Gutdünken zu organisieren“ .

10. Wachsende „Christianophobie“ im entchristlichten Abendland?

Auch in den „freien“ Gesellschaften des Westens mit ihrer garantierten Religionsfreiheit gibt es subtile Formen des Kampfes gegen Christen und Kirche. Papst Johannes Paul II. forderte deshalb 1983 in Lourdes, neben Tod, Gefängnis, Deportation und Verbannung „raffiniertere Strafen“ nicht zu übersehen, etwa soziale Diskriminierung oder subtile Freiheitseinschränkungen, die „eine Art zivilen Todes“ bedeuten können; „auch ein materialistisches oder religiös gleichgültiges Klima, das alle geistigen Bestrebungen erstickt“, könne den Gläubigen viel Mut abverlangen, „einen klaren Blick zu bewahren, treu zu bleiben und ihre Freiheit gut zu ebrauchen.

Auch für sie muss man beten. Fürchtet euch – sagt Jesus – vor denen, die die Seele ins Verderben stürzen können (vgl. Mt 10,28)“ . Der amerikanisch-jüdische Rechtsgelehrte Joseph Weiler spricht angesichts der Verhinderung einer Anrufung Gottes im Entwurf für eine europäische Verfassung und der gescheiterten Berufung des italienischen Ministers Rocco Buttiglione zum EU-Kommissar von einer wachsenden „Christophobie“ in Europa.

Wäre Buttiglione Jude gewesen, hätte ihm niemand jene inquisitorischen Fragen gestellt, deren Beantwortung ihn angeblich für das Amt disqualifizierte . Auch andere Beobachter, etwa der große französische Politologe René Rémond , erkennen in Europa eine antichristliche Tendenz. In Reaktion darauf wurde jüngst in Wien ein „European Observatory on Christianophobia and Intolerance” gegründet .

Wo „Christen zunehmend aus dem öffentlichen Leben gedrängt“ und christliche Grundsätze, wie etwa das Recht auf Leben von Anfang an“ zwar rechtlich garantiert, „de facto aber außer Kraft gesetzt“ werden , stellt sich für jeden Gläubigen die Gewissensfrage, welche materiellen Nachteile und sozialen Blessuren zu erleiden er bereit ist. Solche Opfer könnten leichter fallen im Blick auf das Vorbild der verfolgten Christen.

Ihr Widerstehen speist sich aus einer geistlichen Kraft, die wir heute nötig brauchen. Ein prominenter Vertreter der vietnamesischen Märtyrerkirche mit einem langen persönlichen Leidensweg, der im Jahr 2000 als erster Asiat im Vatikan die päpstlichen Exerzitien hielt , brachte seine Treue zu Christus in einem Satz auf den Punkt, den sich bequeme Konventionschristen hinter den Spiegel stecken können: „Mein Glaube war nicht käuflich. Um keinen Preis konnte er abgelegt werden, und sei es auch der Preis eines glücklichen Lebens“ (Kardinal Francois-Xavier Nguyen Van Thuan).